Versteckt wie Anne Frank
der Friseur nach oben, aufgeregt und nervös. »Meine Frau findet, dass ihr wegmüsst, noch bevor die Kinder nach Hause kommen. Unser Haus ist zu klein für Untertaucher.«
Weg war unsere Untertauchadresse. Es wurde schwierig. In den nächsten drei Monaten hatte ich zweiundvierzig verschiedene Untertauchadressen. Anfangs noch gemeinsam mit meinem Onkel, aber als seine Frau und seine Kinder auch untertauchen mussten, ging das nicht mehr.
Inzwischen war es November 1942, tiefster Winter, und es war eiskalt. Ich ging über ein Feld, wusste überhaupt nicht mehr, wohin ich sollte. Ich wusste, dass es in der Nähe einen Viehstall gab, dort würde es warm sein. Ich fand den Stall, ging hinein, legte mich zu den Kühen ins Stroh und schlief ein. Am nächsten Morgen vor dem Melken fand mich der Bauer. Er wusste, wer ich war. »Dass ich dich hier finden muss«, sagte er. »Bleib heute bei uns im Haus, aber sorg dafür, dass dich das Personal nicht sieht. Wenn es dunkel ist, musst du weiter.« Ich begriff, dass er nicht den Mut hatte, Juden im Haus aufzunehmen. Immerhin war ich am Abend ausgeschlafen. Ich hatte mich aufgewärmt und etwas zu Essen mitbekommen.
Danach ging ich wieder nach Nieuwe Pekela zu Hayo Kampion, einem jüdischen Mann, der eine nichtjüdische Frau hatte, und darum in Ruhe gelassen wurde. Ich klopfte an, die Tür öffnete sich. »Ah, Junge, komm rein. Man erzählt sich, du wärst in England.«
»Schön wär’s. Ich bin noch hier.« Kampion gab mir andere Kleidung – Sachen seiner unverheirateten Brüder, die schon abgeholt worden waren.
Jede Menge neue Adressen folgten. Schließlich kam ich zu einer Familie Beuker in Stadskanaal. Dort war ich willkommen.
»Du kannst melken, die Kühe füttern und tagsüber auf dem Land arbeiten.« Ich bekam einen anständigen Schlafplatz. So gut hatte ich es lange nicht gehabt.
Nach einer Woche wurde der Wohnbereich des Bauernhofes beschlagnahmt. Nicht, um Deutsche dort wohnen zu lassen, sondern Mitglieder der NSB , die aus Deutschland zurückgekommen waren, wo sie ihr Heil gesucht hatten, jedoch gar nicht willkommen gewesen waren. »Wir bauen dir auf dem Dachboden einen Verschlag«, sagte Beuker. »Vielleicht ist es nur noch für drei Wochen, dann haben die Deutschen den Krieg verloren.«
Vierzehn Tage habe ich auf dem Dachboden gesessen, in einem selbst gebauten winzigen Verschlag unter der Dachschräge. Es war dunkel dort und ich hatte nichts außer einem Eimer für meine Notdurft. Eines Abends kam der Bauer und holte mich, die NSB -Leute waren ausgegangen, ich konnte mich waschen und mit ihnen essen. Am Tisch sagte ich: »Ich halte es nicht aus dort oben, ich will weg.«
»Wenn du wirklich fortwillst, weiß ich eine Adresse für dich. Ich frage sofort nach.«
Eine Viertelstunde später kam er zurück. »Nimm dein Rad und deine Sachen, ich bringe dich zu den Drenths. Da wohnt schon eine jüdische Familie: Mann, Frau, zwei Kinder. Du kennst sie.«
Es zeigte sich, dass die jüdische Familie, die bei den Drenths untergetaucht war, die meines anderen Onkels war. Ich kannte sie gut. Dennoch wurde es kein herzliches Wiedersehen. Sie ließen mich sofort merken, dass sie mich dort nicht haben wollten. Ich war ein Störenfried in ihrer Welt, die aus einem zwanzig Quadratmeter großen Zimmer bestand, das sie nun Tag und Nacht mit mir teilen mussten. Nach ein paar Tagen hatten wir schon Streit über den Unterricht, den mein Onkel seinen Kindern gab. Der war nämlich richtig schlecht, er brachte ihnen alles halb auf Deutsch, halb auf Niederländisch bei. Wir kriegten uns sofort ziemlich in die Haare, bis seine Frau zu ihm sagte: »Nico, nun überlass das mal lieber ihm.« Also gab ich den Kindern Unterricht anhand der Schulbücher, die eine Tochter der Familie Drenth aus der Schule mitbrachte: Rechnen, Sprache, Erdkunde, Geschichte.
Eines Abends stand Herr Beuker vor unserem Zimmer. Er zeigte mir einen Brief. Es ging darin um die Kinder des Onkels, mit dem ich damals geflohen war. Sie mussten weg aus Amsterdam, wo sie untergetaucht waren. Das Geld war aufgebraucht und es gab kaum noch Essen und Trinken. »Was soll ich nur machen?«, fragte Beuker.
»Das musst du Drenth fragen«, sagte ich, »der wird es wissen.«
Beuker ging nach hinten ins Wohnzimmer, um sich mit Drenth zu beraten. Ich folgte ihm, ich wollte wissen, was passieren würde. Vater und Mutter Drenth sahen sich an und nickten. »Bring sie nur her.«
Das passte dem Onkel, der schon da war, überhaupt
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