Versteckt wie Anne Frank
gelernt, Gemüse zu putzen und Zigaretten zu drehen. Ich saß oft allein in meinem Zimmer. Auf keinen Fall durfte ich am Fenster stehen, denn im Nachbarhaus wohnten NSB -Mitglieder.
Zum Glück konnte ich Ende August woandershin, wo ich nach draußen durfte. Ich landete in einer Pension in Wageningen. Anfangs war es mir nicht klar, aber in dieser Pension wohnten viele untergetauchte Juden.
Dann kam der 17. September 1944, der Tag der Luftlandung bei Arnhem . Vom Wageningse Berg aus sahen wir auf der anderen Seite des Rheins Soldaten durch die Luft fallen und Kriegsmaterial, Fahrräder, Munition. Wir dachten, der Krieg wäre jetzt bald vorbei. Dem war überhaupt nicht so. Bei Arnhem wurde heftig gekämpft, und sehr viele Menschen aus der Umgebung mussten von dort fliehen.
Ich wurde abgeholt und kam zu Herrn Boer, einem evangelisch-reformierten Pfarrer aus Bennekom. Bis zum Ende des Krieges habe ich mit ihm und seiner Familie allerlei Irrfahrten gemacht. Von den sechs Kindern, die das Ehepaar hatte, lebte nur noch das älteste: Jacob, ein Junge in meinem Alter. Er war extrem brav. Eines Nachmittags hatten wir im Keller von der selbst gemachten Pflaumenmarmelade genascht. Als die Marmelade auf den Tisch gestellt wurde, fing Jacob zu weinen an. »Jacob, warum weinst du?«, fragte seine Mutter. »Johan und ich haben von der Marmelade genascht«, antwortete er. Zum Glück bekamen wir keine Strafe.
Mit Jacob musste ich auch spielen, vor allem Schach. Wenn ich dann mal gewann, ging er in den Keller und weinte. Wir wurden keine richtigen Freunde. Dennoch musste ich mit ihm in einem Bett schlafen und er rutschte dabei immer auf meine Seite. Eines Abends fand ich eine Stecknadel. Als er auf meine Hälfte rollte, pikste ich ihn in den Hintern. »Mama, Mama, Johan hat mich gestochen!«, rief er.
Meine frühere Untertauchmutter ist ein paarmal von Veenendaal nach Renswoude gelaufen, um mich zu besuchen. Eines Abends stand sie unangekündigt vor der Tür und ich konnte ein paar Stunden mit ihr allein verbringen. Mir wurde ganz warm ums Herz und es schuf ein intensives Band.
Nachdem die Deutschen das Pfarrhaus beansprucht hatten, mussten wir wieder weg. Jetzt zogen wir nach Nederwoud bei Lunteren. Immer öfter sahen wir Deutsche mit gesenktem Kopf vorbeitrotten, zurück nach Deutschland. In Nederwoud habe ich die Befreiung erlebt. Ich war im siebten Himmel: Endlich brauchte ich keine Angst mehr zu haben.
Ein paar Tage nach der Befreiung begegnete ich in Nederwoud auf der Straße meinem ersten Untertauchvater, Onkel Gert van Engelenburg. Da wir Kontakt gehalten hatten, wusste er, wo ich ungefähr war.
»Johan, ich bin gekommen, um dich mitzunehmen.«
»Du willst mich mitnehmen?«
»Ja, deine Mutter ist zurückgekommen.«
Mit mir auf dem Gepäckträger radelte er zurück nach Veenendaal. Kurz vor seinem Haus stupste er mich an: »Sieh nur, da kommt deine Mutter.«
Sie war älter geworden, ich war älter geworden. Wir wollten einander anfassen, ich versuchte sie zu umarmen, und sie versuchte mich zu umarmen. Aber es fühlte sich ganz anders an, als ich die ganze Zeit über gehofft hatte. Zusammen gingen wir zu der Adresse, wo meine Schwestern wohnten.
In unser Haus, das in der Nähe der Fabrik lag, in der mein Vater arbeitete, waren andere Leute gezogen. Und sie gingen dort nicht weg. Es dauerte mindestens bis Oktober 1945, bis wir eine andere Mietwohnung zugewiesen bekamen. Dort erst haben wir wieder als Familie zusammengelebt, allerdings ohne meinen Vater. Meine Schwestern und ich waren am 9. April 1943 untergetaucht, meine Mutter am 11. April, er am 12. April – einen Tag zu spät. Er ist verraten worden. Dennoch hofften wir nach dem Krieg noch monatelang, er würde zurückkehren, wäre vielleicht nach Russland geflohen. Bis das Rote Kreuz bestätigte, dass sein Todesdatum auf den 28. Februar 1945 festgesetzt worden war. Er war zuletzt in Groß-Rosen gesehen worden, einem Konzentrationslager in Polen.
Wir hatten nichts mehr und mussten uns auf die Suche nach unserem Hausrat machen, all unseren Sachen. Eines Tages erinnerte sich meine Mutter daran, dass mein Vater eine Kuh besessen hatte. Im Krieg hatte er sie bei einem Bauern untergebracht, der bei ihm in der Fabrik arbeitete. Sie hatten vereinbart, dass er dreimal in der Woche Milch von der Kuh bekäme. Meine Mutter wollte wissen, was mit dem Tier geschehen war, und ging zu dem Bauern. »Ja, die Kuh«, sagte er, »die ist tot. Aber wie bedauerlich ist es doch,
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