Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Versteckt

Versteckt

Titel: Versteckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
Vom Netzwerk:
wartete auf der anderen Straßenseite auf mich. Ich fuhr zu Casey hinüber und hielt vor ihrem Haus.
    Für drei Personen war es ein sehr großes Haus. Ob ihre Mutter wohl eine Putzfrau hatte? Billiges Personal war in Dead River leicht zu bekommen.
    Ich ging die Stufen zur frisch gestrichenen weißen Eingangstür hinauf und klingelte. Das Licht im Wohnzimmer wurde eingeschaltet, ein tiefes Seufzen ertönte, langsame Schritte näherten sich.
    Ihr Vater öffnete die Tür.
    Er war ein großer Mann mit breiten Schultern, um die fünfzig und erstaunlich fit. Sein schütteres braunes Haar wurde langsam grau, und er trug eine Brille mit schwarzer Fassung. Ich schätzte ihn auf eins neunzig, also etwa fünf bis zehn Zentimeter größer als ich. Er sah müde aus. Er war blass. Als er mich durch den Türspalt ansah, wusste ich, von wem Casey ihre Augen hatte. Obwohl seine einen Tick dunkler waren.
    »Ja?«
    Ich streckte die Hand aus.
    »Mr. White? Dan Thomas. Casey erwartet mich.«
    Er wirkte verwirrt und schüttelte geistesabwesend meine Hand. Ich fragte mich, ob er trank und vielleicht deshalb so krank aussah.
    »Oh. Natürlich. Kommen Sie rein.«
    Er trat zur Seite und öffnete mir die Tür. Ich ging hinein. Das Haus war sehr schön eingerichtet, viel luxuriöser als die typischen Ferienwohnungen. Das Mobiliar bestand durchweg aus Antiquitäten, nicht gerade Prunkstücke, aber noch gut in Schuss. Die Holzflächen waren frisch poliert. In einer Ecke stand sogar ein alter Sekretär, und der war eine echte Rarität.
    Er rief die Treppe hinauf nach Casey. Die Antwort klang gehetzt und wie aus weiter Entfernung.
    »Bin gleich so weit!«
    Wir blieben stehen und wussten beide nicht so recht, was wir sagen sollten. Wahrscheinlich hatte ich ihn beim Lesen unterbrochen. Er hielt eine eng zusammengerollte Zeitung in der fleischigen Pranke. Egal, wie krank er aussah – ich hätte mich keinesfalls mit ihm anlegen wollen.
    Casey hatte mir erzählt, dass er als Banker arbeitete. Man konnte sich nur schwer vorstellen, wie er hinter einem Schreibtisch saß und mit Zahlen jonglierte. Wäre die ungesunde Gesichtsfarbe nicht gewesen, man hätte schwören können, dass er den ganzen Tag mit körperlicher Arbeit an der frischen Luft verbrachte. Ich fragte mich, wieso er so breite Schultern hatte. Als ich mich umsah und das große gerahmte Foto an der Wand entdeckte, kannte ich die Antwort.
    Er bemerkte meinen Blick und lächelte.
    »Yale 1938. Das ist die Ringermannschaft. Ich bin der ganz links. In diesem Jahr hatte ich eine ziemlich gute Bilanz. Zwölf Siege, zwei Niederlagen.«
    »Nicht schlecht.«
    Er setzte sich seufzend in den großen, dick gepolsterten Sessel neben dem Kamin. Sein dröhnender Bariton war seltsam ausdruckslos, flach und ohne Begeisterung. Auch seine Augen wirkten tot. Es waren Caseys Augen, nur völlig leblos, ohne Energie oder die unerklärliche Tiefe, die mich so zu ihr hinzog. Sie waren nicht mehr als bunte Glaskugeln. Ob er krank war oder gar im Sterben lag?
    Ein bisschen Small Talk ließ sich nicht vermeiden.
    »Und, was machen Sie so?«
    »Ich verkaufe Bauholz.«
    Er nickte geistesabwesend, und wir schwiegen. Er starrte auf einen Punkt vor sich. Gerade, als ich seinem Blick folgen wollte, stellte er die nächste Frage.
    »Kann man davon leben?«
    »Mehr schlecht als recht. Hier gibt es nicht so viele Möglichkeiten. Jedenfalls nicht für mich – ich werde schnell seekrank.«
    »Ich auch.« Er lachte, was nicht sonderlich amüsiert klang. Selbst sein Lachen war irgendwie abwesend.
    »Schönes Haus.«
    Wie gesagt, ich war wirklich ein Meister der Konversation.
    Er nickte wieder.
    Ich hinterließ so viel Eindruck wie ein Fleck auf dem Teppich. Glücklicherweise schien ihn das nicht zu kümmern. Als würde er mich gar nicht richtig wahrnehmen.
    Dann hörten wir Schritte auf der Treppe. Er hob den Kopf und schien mich endlich zu bemerken, denn er sah mich durchdringend an. Hoppla, da steht ja ein menschliches Wesen.
    »Passen Sie gut auf meine Tochter auf, Mr. Thomas.«
    »Ja, Sir.«
    Die Schritte kamen näher. Er wandte sich ab, und diesmal folgte ich seinem Blick zu einem kleinen Tisch, auf dem eine Vase, ein Aschenbecher und zwei Fotos in Goldrahmen standen. Auf dem einen war eine jüngere Version von Casey zu sehen – vielleicht bei ihrem Highschool-Abschluss. Das andere war die professionelle Aufnahme eines kleinen braunäugigen Jungen, vielleicht sieben oder acht Jahre alt. Er lächelte, ohne die Zähne zu zeigen

Weitere Kostenlose Bücher