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Versteckt

Versteckt

Titel: Versteckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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– auf die schüchterne, seltsame Art, wie Kinder eben lächeln.
    Casey hatte ihren Bruder nie erwähnt.
    Ich sah Mr. White an, der die Fotos eingehend musterte. Die hohe, blasse Stirn legte sich in Falten. Die Haut glänzte. Betrachtete er Caseys Bild oder das des Jungen?
    »Fertig?«
    Sie hüpfte die letzten Stufen herunter. Ihr T-Shirt sah aus, als wäre es nur aufgemalt, mit sicherer, ruhiger Hand. Sie war etwas außer Atem, lächelte und roch frisch geduscht und sehr sauber.
    »Dann los«, sagte ich.
    Sie ging zu ihrem Vater hinüber und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
    »Bis dann, Daddy.«
    Er rang sich ein halbherziges Lächeln ab. Offenbar standen sie sich nicht besonders nahe.
    »Wann kommst du wieder?«
    »Keine Ahnung. Irgendwann. Sag Mama Gute Nacht von mir.«
    »Ja.«
    Zerstreut stand er auf, was ihn sehr anzustrengen schien, doch seine anerzogene Höflichkeit ließ ihn diese Unannehmlichkeit überwinden. Vermutete ich zumindest. Wenn eine Dame das Zimmer verlässt, hat man aufzustehen, auch wenn es die eigene Tochter ist. Eine Angewohnheit, die ihm das Leben nicht gerade leichter machte.
    Wie alles andere, was ich ihn tun sah, war auch dies eine sinnentleerte Geste. Man fragte sich unweigerlich, wieso er so lethargisch war. Dieser Mann, dachte ich, dieser Mann ist nur eine große leere Hülle.
    »Auf Wiedersehen … junger Mann«, sagte er.
    Er hatte meinen Namen vergessen.
    »Auf Wiedersehen, Sir.«
    Wir traten in die warme Sommernacht. Ich war froh, das Haus zu verlassen.
    Sie starrte den Pick-up auf der anderen Straßenseite an.
    »Sollen wir wirklich mit der Rostlaube fahren?«
    »Mir egal.«
    »Dann nehmen wir den Chevy. Kim und Steven würden mir das nie verzeihen.«
    Sie drehte sich zur Einfahrt um. Ich ergriff ihren Arm.
    »Nur unter einer Bedingung.«
    »Und die wäre?«
    »Kim und Steven lassen wir zu Hause.«
    Sie lachte. »Aber wir sind mit ihnen verabredet.«
    »Dann sag, du wärst krank. Sag, du hast deine Periode oder so.«
    »Das kann ich doch nicht machen.«
    »Klar kannst du.«
    »Und wenn sie uns sehen, wie wir durch die Stadt fahren?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Dann bist du eben plötzlich wieder gesund.«
    Wir stiegen in den Wagen, und sie dachte einen Augenblick darüber nach. Dann lächelte sie. Ich hatte sie offenbar überzeugt. Sie ließ den Motor an, und ich beugte mich vor, nahm ihr Kinn in meine Hand, drehte ihr Gesicht zu mir und küsste sie. Erst spürte ich lächelnde Lippen und Zähne. Dann wurden die spröden Küsse hitziger, hungriger.
    Sie fuhr los.
    »Also gut. Überredet.«
    Wir fuhren zur Telefonzelle vor dem Harmon’s. Sie stieg aus, und ich beobachtete, wie sie unter dem Neonlicht wählte und in den Hörer sprach. Es sah aus, als hätte sie einen kleinen Streit. Dann drehte sie sich zu mir um und formte mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis. Einen Augenblick später legte sie lächelnd auf, stieg wieder ins Auto und knallte die Tür zu.
    »Ich hab meine Periode. Kim wird es Steven sagen, und der wird nicht begeistert sein. Aber.«
    »Aber.«
    Ich küsste sie.
    »Hast du was mit Steven?«
    »Ob ich was mit Steven habe?«
    Ich nickte. Sie lachte.
    »Wir kennen uns schon seit einer Ewigkeit. Als Kinder waren wir Nachbarn. Damals wollten wir heiraten, du weißt schon, wie Kinder eben so sind. Dann wurden wir erwachsen. Also, ich zumindest.«
    »Er geht immerhin nach Harvard.«
    »Na und? Da ist er nicht der Einzige, oder?«
    »Und was ist mit Kim?«
    »Die habe ich sieben oder acht Jahre später auf der Junior High kennengelernt. Ich hab die beiden miteinander bekannt gemacht. Unsere Eltern sind alle befreundet. Sie wären sich früher oder später sowieso über den Weg gelaufen. Trotzdem – es ist mein Verdienst, dass sie sich gefunden haben. Sie sind beide ziemlich … frühreif, so heißt das wohl. Kim hat einen Ruf wie Donnerhall. Zu Recht natürlich.«
    »Und trotzdem waren sie die ganze Zeit zusammen?«
    »Wir. Wir waren zusammen. Manchmal hab ich das Gefühl, wir wären so was wie siamesische Drillinge. Wir hatten ein paar Reibereien, aber nichts Ernstes. Wenn du mich willst, musst du auch Kim nehmen. Und wenn du Kim willst, kriegst du mich dazu. Steven will uns beide, das stellt also kein Problem dar. Es ist schon irgendwie eine komische Beziehung. Wir schlafen nicht miteinander oder so, haben wir nie, aber er ist trotzdem sehr besitzergreifend. Ich weiß nicht, ob sie ohne mich noch zusammen wären. Wie gesagt, er will mit uns zusammen sein –

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