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Versteckt

Versteckt

Titel: Versteckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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mit uns beiden. Und mich kriegt er nur, wenn er Kim auch nimmt. Keine Ahnung, wie das geht, aber irgendwie bin ich der Leim, der das alles zusammenhält. Und um deine nächste Frage zu beantworten: Ja, das kann einem manchmal tierisch auf die Nerven gehen. Meistens klappt es allerdings ganz gut.«
    Sie war anscheinend gerade in Plauderstimmung, daher beschloss ich, ihr eine andere Frage zu stellen, die mir auf der Zunge lag.
    »Und dein Bruder?«
    »Mein Bruder? «
    Es kam schnell und unerwartet. Jetzt wusste ich, wie sich eine Maus fühlt, wenn die Falle zuschnappt. Es war doch nur ein kleines Stückchen Käse. Plötzlich schien etwas sehr Gefährliches mit uns im Wagen zu sitzen.
    »Wer zum Teufel hat dir von meinem Bruder erzählt? Dad?«
    »Ich hab ihn auf dem Foto gesehen. Im Wohnzimmer. Da hab ich mich gefragt …«
    Sie starrte mich einen Augenblick lang an, und wieder erkannte ich, wie kalt diese Augen sein konnten. Dann drehte sie den Zündschlüssel um, und der Motor erwachte gehorsam zum Leben. Sie fuhr so schnell los, dass die Reifen quietschten.
    »Vergiss bloß meinen beschissenen Bruder«, sagte sie.
    Was ich mir sofort hinter die Ohren schrieb.
    An diesem Abend spielte im Caribou eine Band aus Dead River, und eine schlechte noch dazu. Zwei Gitarristen, ein fauler, fetter Drummer und eine Sängerin, die ich von der Highschool kannte. Sie war klein und blond, hatte eine Piepsstimme, so gut wie keinen Busen und die Ausstrahlung eines Dosenpfirsichs. Die Band coverte ausschließlich Lieder von Loretta Lynn oder Ernest Tubb, sodass man sich irgendwann sogar nach den Schlagern aus der Hitparade sehnte. Wir tranken unser Bier aus, und als die Jungs in der ersten Reihe aufstanden und zu »Waltz Across Texas« applaudierten, machten wir uns vom Acker.
    Sie wollte ein bisschen durch die Gegend fahren.
    Ich redete, und sie hörte zu. Ich hatte den Drang, alles rauszulassen, ihr in wenigen Minuten den kompletten Dan Thomas vorzustellen. Natürlich musste ich ein paar Sachen weglassen, ich wollte ja nicht die Stimmung ruinieren. Meinen Bruder beispielsweise erwähnte ich mit keinem Wort, damit sie nicht auf die Idee kam, dass ich so auf Umwegen auf ihren zu sprechen kommen wollte. Nein, ich wollte sie zum Lachen bringen – leider gab es nicht viel zu lachen. Während ich erzählte, wurde mir so richtig bewusst, wie jämmerlich Dead River im Vergleich zu Boston war. Im Vergleich zu allem anderen. Aber mehr hatte ich nicht zu bieten.
    Ich erzählte ihr von Rafferty und der Nacht, in der die Borkstrom-Zwillinge besoffen in den Wasserturm des alten Lymon gekackt hatten. Ich erzählte ihr von den Autorennen unten in Becker’s Flats und von unserem alten schwarzen Hund, der durch die Zähne pfeifen konnte. Und ich fragte mich, was sie wohl von alledem und von mir halten würde.
    Sie wollte wissen, wie es zu dem Feuer im Hinterhof gekommen war, bei dem sie uns erwischt hatten. Wir hatten unsere Plastiksoldaten mit Napalm bombardieren wollen.
    Ein heikles Thema, das ganz andere Erinnerungen weckte.
    Also lenkte ich wieder ab.
    Es fing an zu regnen.
    Nur ein leichter, warmer Nieselregen, gefolgt von dichtem Nebel.
    Wir hatten das Verdeck unten gelassen, deshalb hielten wir gegenüber dem Colony Theater an, um es aus der Klappe zu holen und aufzufalten. In dem Kino lief gerade Cemetery of the Dead , ein billiger Horrorfilm, der nicht sonderlich gut besucht war. Candy Bailey saß hinter dem Ticketschalter und las einen Krimi. Sonst war nicht viel los.
    Casey kam zu mir herüber. Ich hatte schon die Hand an der Wagentür, um sie für sie zu öffnen, als sie sanft ihre Finger auf meinen Unterarm legte.
    »Warte. Komm her.«
    Knutschen auf offener Straße?
    Zuerst war mir unbehaglich zumute. Schließlich wohnte ich hier, und Candy Bailey saß genau gegenüber in ihrer hell erleuchteten Bude. Das komische Gefühl hielt allerdings nicht lange an. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis mich ihr Mund davon überzeugt hatte, dass es genau das Richtige war. Nach dem ersten langen Kuss lösten wir uns voneinander. Im Licht der Kinoreklame glitzerten kleine Regentropfen in ihrem Haar. Dann sah ich ihr Gesicht, sah die plötzliche, unerwartete Begierde.
    Wir küssten uns noch einmal, lange und leidenschaftlich, und ihre Rückenmuskeln bewegten sich wie die eines Raubtiers.
    Ein Mann ging mit seiner riesigen Promenadenmischung hinter uns vorbei. Er war nicht mehr als ein Schatten, der über den Rollladen vor dem Schaufenster einer

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