Versteckt
Case.«
»Seid ihr bereit?«, flüsterte Kim.
Ich holte tief Luft und inhalierte Caseys Duft, bevor sie sich von mir löste.
Einen Moment lang bewegten sie sich alle gemeinsam, wie ein menschliches Hütchenspiel. Die Seile baumelten gegen mein Bein. Das war alles vollkommen irre. Ich schloss die Augen.
»Bereit.«
Ich fing an zu zählen.
Ich hörte ihre Schritte auf dem Holzboden. Einer ging nach oben, vielleicht auch zwei. Oder jemand machte doppelt so viele Schritte, um mich zu verwirren. Unmöglich zu sagen. Ein anderer schlich leise in die Küche. Schon als Kind hatte ich Schwierigkeiten gehabt, den Schritten zu lauschen, wenn ich gleichzeitig im Kopf zählen musste.
Neunundzwanzig. Dreißig.
Mit einem Mal hatte ich den unwiderstehlichen Drang zu kichern. Ich riss mich zusammen.
Vierzig. Einundvierzig.
Ich spürte, wie sich meine Blase zusammenzog. Und das lag nicht nur am Bier.
Ich hörte ein Rascheln und Kratzen von oben.
Ich erinnerte mich an ihren weichen Kuss, an den sanften Biss.
Und zählte weiter.
17
Kleine Lichtpunkte tanzten in der Finsternis vor meinen Augen.
Ich kniff sie fest zusammen. Sie wollten sich öffnen, aber meine Gesichtsmuskeln ließen es nicht zu. Am Rande meines Blickfelds erschienen dunkle bernsteinfarbene Flecken.
Als Kind war mir das irgendwie leichter gefallen.
Ich lehnte mich gegen die Fensterscheibe. Mir war so schwindlig wie einem Leichtmatrosen auf hoher See.
»Achtundneunzig. Neunundneunzig. Hundert.«
Ich öffnete die Augen.
Einen Moment lang fehlte mir völlig die Orientierung. Ich blinzelte, starrte auf das hohe Gras und die Bäume. Dann sah ich wieder klar.
Draußen im Gras blinzelte etwas zurück.
Ich zuckte zusammen.
Als hätte ich auf eine heiße Herdplatte gefasst, riss ich meinen Kopf, meine Arme, meinen Rücken und meine Schultern gleichzeitig nach hinten. Ich presste die Arme fest gegen den Körper. Mit einem leisen schmatzenden Geräusch klappte mein Kiefer herunter.
Eine Kobra oben im Badezimmer hätte mich nicht mehr erschrecken können. In so einem Moment versetzt das Nervensystem dem Gehirn einen gewaltigen Schlag, und es dauert eine Weile, bis sich die kleinen Rädchen wieder richtig drehen und man tatsächlich sieht, was man nur zu sehen geglaubt hat.
Also blickte ich noch mal hin.
Da war zweifellos ein Augenpaar, etwa fünf Meter von mir entfernt. Die Augen bewegten sich, glänzten im Mondlicht.
Einen Moment lang sah ich sie ganz deutlich, dann verschwanden sie langsam im dichten Gras. Ich beobachtete die Stelle weiter, und Sekunden später bemerkte ich, wie sich etwas ungefähr in Richtung Wald und Auto bewegte. Nach vielleicht drei Metern hörte die Bewegung auf.
Was das auch war, ein Mensch war es nicht. Dafür waren die Augen zu klein und standen zu eng beieinander.
Was dann? Ein Waschbär? Ein Opossum?
Ein Hund?
Bitte kein Hund, dachte ich.
Eine Katze vielleicht? Das wäre beruhigender.
Wie dem auch sei – es war verschwunden, und ich musste dieses bescheuerte Spiel spielen. Ein Waschbär, entschied ich zögernd. Dann fiel mir ein, dass ich etwas vergessen hatte.
»Ich komme!«, rief ich.
Ich versuchte, mir die wenigen Geräusche, die ich gehört hatte, noch einmal in Erinnerung zu rufen. Einer oder zwei mussten oben sein. Derjenige, der in der Küche verschwunden war, konnte weiter durch den Hinterausgang oder nach unten gegangen sein. Ohne Taschenlampe wollte ich weder den Keller noch den Holzschuppen betreten, und ich hoffte, dass derjenige, der diese Richtung eingeschlagen hatte, genauso dachte. Wenn es Casey war, hatte ich vielleicht ein Problem. Aber ich beschloss, mich später darum zu kümmern.
Ich ging nach oben.
Und zwar langsam. Auf halber Treppe wurde es stockdunkel, dann wieder etwas heller, als ich den Absatz erreichte. Durch ein Fenster, das zum Balkon hinausging, fiel ein schwacher Strahl Mondlicht in den Flur – die einzige Lichtquelle.
Wo konnten sie sich verkrochen haben?
Also, ich hätte mich für den Balkon entschieden.
Nicht, weil er so ein gutes Versteck darstellte – im Gegenteil –, sondern weil es da draußen sehr angenehm war. Der gemütlichste Platz im ganzen Haus. Da mich das Spiel sowieso nicht so wahnsinnig begeisterte, hätte ich mich einfach draußen hingesetzt und abgewartet.
Ich fragte mich, ob die anderen genauso dachten.
Steven auf jeden Fall.
Er saß direkt neben der Balkontür und trank ein Bier. Er sah zu mir auf und lächelte.
»Willst du einen Schluck?«
Ich setzte
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