Versteckt
das überwucherte Feld vor dem Haus in ein milchiges Grau. Die Bäume dahinter bildeten eine ausgefranste schwarze Masse, in der man auch einen Panzer hätte verstecken können.
Mit einem Mal hatte ich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend.
Als wären wir von der Außenwelt abgeschnitten.
Ein weiteres Fenster zeigte zur Rückseite des Hauses, und daneben war eine Tür, die wahrscheinlich zum Balkon führte. Doch ich kam nicht dazu nachzusehen. Casey hatte es eilig. Sie war zusammen mit Kim im gegenüberliegenden Raum verschwunden, und ich folgte ihnen.
Noch ein Schlafzimmer, diesmal etwas kleiner.
Hier stand das Bett noch, wenn auch äußerst windschief. Ich hätte mich nicht darauf setzen wollen, selbst wenn es nicht derart dreckig gewesen wäre. In der Mitte der Matratze befand sich eine tiefe Delle, als wäre derjenige, der darauf geschlafen hatte, ziemlich groß und schwer gewesen. Wir gingen in die Hocke und sahen darunter. Ein paar Federn fehlten, und die Staubschicht war so dick, dass man die Bodenbretter darunter kaum noch erkennen konnte.
In einer Ecke lag ein dünner, fadenscheiniger Teppich, daneben stand ein Kosmetiktisch mit eingebautem Spiegel und einem Stuhl davor. Der Spiegel war zerbrochen, doch nirgendwo waren Scherben zu sehen. Davon abgesehen, war der Tisch noch ganz in Ordnung – vorausgesetzt, man putzte ihn ordentlich. Ein leerer Bilderrahmen lag mit der Vorderseite darauf, daneben rotteten ein Kamm, eine Bürste und zwei alte Nylonstrumpfhosen vor sich hin.
Wir rissen die Schubladen auf. Leer.
Steven deutete auf die Strumpfhosen. »Die gehörten ihr «, murmelte er.
Er öffnete den Wandschrank. Drahtkleiderbügel.
»Keine Mäuse.«
Wir gingen den Flur entlang an der Treppe vorbei zum hinteren Teil des Hauses. Eine Tür lag direkt vor uns, eine weitere zu unserer Rechten.
Die rechte Tür führte in ein völlig leeres Zimmer. Kein Bett, keine Matratze. Weder im Raum selbst noch im Wandschrank lag irgendetwas, das uns Aufschluss über den Verwendungszweck des Zimmers hätte geben können.
Mich interessierte eher die andere Tür. Der Balkon.
Während die anderen den Wandschrank inspizierten, ging ich in den Flur. Die Tür war offen, und ich trat ins Freie.
Die anderen waren nicht weit weg, doch einen kurzen Augenblick lang war ich ganz allein dort draußen, atmete die würzige Seeluft – eine Wohltat nach dem stickigen, muffigen Dunst des Hauses. Die Aussicht war großartig. Nur wenige Meter vor mir endete das Grundstück am Rand einer spektakulären Klippe, die direkt zum Meer hin abfiel. Weil ich im ersten Stock stand, kam es mir unglaublich hoch vor. Weit unter mir brodelte das vom Mondlicht beschienene Meer, eine sich ständig verändernde Masse aus Licht und Dunkel. Obwohl es windstill war, hatte man aufgrund der Wellen, die gegen die Klippen schlugen, den Eindruck, dass sich der Boden bewegte. Als würde man mutterseelenallein auf einem riesigen Floß dahintreiben.
»Nicht schlecht.«
Steven trat durch die Tür hinter mir. Kim und Casey folgten ihm auf dem Fuß. Die Atmosphäre ließ uns unwillkürlich flüstern.
»Mann«, sagte Kim. »Jetzt versteh ich, warum sie so darum gekämpft haben, unbedingt hierbleiben zu dürfen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das lag nicht an der Aussicht, sondern am Haus selbst. Es war ihr Land, ihr Heim. Außerdem haben sie ja eigentlich nicht darum gekämpft, oder? Sie sind einfach nur hiergeblieben, bis es nicht mehr ging. Dann sind sie abgehauen.«
»Ich weiß nicht so recht. Hat ein Schwachsinniger überhaupt einen Sinn für so eine Aussicht? Ich wär mir da gar nicht so sicher.«
»Frag doch Casey«, sagte Steven.
Sie beachtete ihn nicht. Wir standen eine Weile lang schweigend da. Nach wie vor hatte ich das Gefühl, mich auf einem Floß zu befinden. Die Sterne, das Meer, auf dem man lautlos dahingleitet. Mir wurde leicht schwindlig.
»Ich geh wieder rein.«
Casey nickte. »Zeit wird’s.«
Wir folgten ihr durch den Flur und die Treppe hinunter. Unten blieb sie stehen und drehte sich zu uns um. »Setzt euch.«
Steven und Kim ließen sich auf der dritten Stufe nieder, ich nahm zwei Stufen über ihnen Platz. Casey schaltete die Taschenlampe aus. Steven und Kim folgten ihrem Beispiel, und schon war es stockdunkel.
Zum ersten Mal spürten wir, wie sich die schwere Stille des Hauses auf uns legte. Ohne Licht vergaß man schnell, wie gewöhnlich das Haus war, wie leer. Die Finsternis schien ihre eigene Masse, ihr eigenes Gewicht zu
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