Versteckt
Magen, das dringend herauswollte. Es war viel zu dunkel, die Finsternis machte mich schwindlig. Als würde man nach einem langen Abend mit zu viel Bier und ohne Essen nach Hause kommen, sich aufs Bett legen und die Augen zumachen. Plötzlich dreht sich alles, wackelt und zittert wie ein Film, der nicht richtig in den Projektor eingelegt ist. Ich kapierte es nicht. Wo war sie? Mein Hirn war vernebelt, sodass nur noch mein Instinkt blieb, und dieser Instinkt löste als einzig angemessene Reaktion Furcht aus. Ich musste mich setzen, ich schwitzte am ganzen Körper. Kalter Schweiß und Übelkeit. Denn – wenn sie nicht hier war …
War sie nirgends.
Unmöglich.
Da war irgendein Trick dabei. Es konnte gar nicht anders sein. So wie bei Kim am Fenster.
Irgendetwas war hier faul. Sie hielten den Jungen vom Land zum Narren.
Das ist nicht nett von dir, Casey. Hör auf damit, sonst mach ich mir noch in die Hose.
»Casey! Leck mich, Casey! Scheiße, komm da raus, und zwar SOFORT !«
Du brüllst ja, Sportsfreund. Wie ein Irrer. Und was bringt’s dir? Gar nichts. Hier ist niemand, du Versager.
Der Teil meines Gehirns, der noch einigermaßen funktionierte, befahl mir, so schnell wie möglich die anderen zu suchen. Sagte mir, dass das kein Spiel mehr war, dass ich Hilfe holen musste. Also lief ich Richtung Treppe. Und vergaß dabei den Schrott auf dem Boden.
Keine Ahnung, über was ich stolperte. Über einen Rechen vielleicht, oder eine Hacke – irgendetwas mit einem langen Holzstiel. Jedenfalls fiel ich nach vorn wie ein nasser Sack. Direkt auf die Brust, den Bauch und die Oberschenkel, meine Füße wurden in die Luft geschleudert. Dabei hörte ich zwei Geräusche gleichzeitig: den Knall, mit dem meine Stirn gegen den Beton prallte, und das Zischen, mit dem mir die Luft aus der Lunge gedrückt wurde. Dann Schmerz und ein kurzes Ringen mit der Bewusstlosigkeit. Zunächst schien ich zu verlieren, drohte, von einer Finsternis in die nächste zu gleiten. Ich kämpfte dagegen an. Allein mich aufzusetzen kostete mich viel Kraft, noch mehr, mich nach Verletzungen abzutasten.
Auf meiner Stirn war ein nasser kühler Fleck, ganz oben am Haaransatz. Mehr nicht. Ich hatte noch mal Glück gehabt.
Da roch ich einen durchdringenden, ekelerregenden Gestank. Wie verfaulendes Fleisch.
Ich hatte ihn zwar schon vorher wahrgenommen, doch jetzt war er viel stärker, überdeckte die kühle Sommerluft. Ich dachte an den Tod, an einen abgestandenen, seichten Gezeitentümpel, gefüllt mit Meerwasser und verwesten Muscheln. Ich dachte an Skelette, die zwischen den Töpfen, Pfannen, Mistgabeln und Messern um mich herum verstreut lagen – und zwar keine Mäuseskelette. Ich sah Ben und Mary unter dem Schutt hervorkriechen. Ich sah die Knochen der von ihren Artgenossen aufgefressenen Hunde.
Der Boden war feucht und glitschig, als ich ihn berührte. Ich kramte in meiner Tasche nach einem Streichholz. Das Spiel war vorbei. Ich zündete es an und hielt es vor mich. Dann schützte ich die Flamme mit der Hand und starrte in die Zugluft. Mir fiel ein, was Rafferty mir neulich erzählt hatte, eine Warnung, die wir nicht beachtet hatten.
Ich arbeitete mich auf Händen und Knien vor. Außer meinen eigenen Geräuschen und dem unaufhörlichen, sanften Wind, der mir entgegenblies, war alles ruhig. Ich kroch weiter, so konnte ich wenigstens nicht stolpern. Ich hatte es im Licht des Streichholzes deutlich gesehen: ein grobes, rundes Loch von nicht einmal einem Meter Durchmesser in der Wand. Groß genug, um hineinzukriechen – oder daraus hervor. Langsam folgte ich dem Luftstrom, dem schimmligen Geruch.
Ich näherte mich dem Loch wie dem Eingang zur Hölle.
Ich wusste, dass sie da durchgeklettert war.
Der Gestank hatte ihr sicher nichts ausgemacht – schließlich würde es nicht ewig dauern, bis ich sie fand. Die Dunkelheit, der Geruch, die Angst, das machte es nur noch spannender für sie. Dumme Nuss, dachte ich. Du verdammte Idiotin.
Ich hoffte sehr, dass ich mich irrte.
Ich zündete das nächste Streichholz an und untersuchte die Öffnung. Ein Tunnel war in das Fundament geschlagen oder eher gekratzt worden. Die Uhr hatte genau im richtigen Winkel gestanden, um zusammen mit einem Zeitungsstapel den Eingang zu verdecken. Der alte Metalleimer lag daneben. Ob Casey darübergestolpert war? Hatte ich das oben gehört? Ich schob die Zeitungen zur Seite und beugte mich in das Loch.
Und sah genauer hin. Betonbrocken lagen an der Seite des Schachts. Als
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