Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)
sogenannten humanitären Interventionen. Es ist nach dem Grundgesetz nicht die Aufgabe der Bundeswehr, am Hindukusch oder gegen Iran Krieg zu führen.
Kann sich ein Land wie Deutschland, das über beträchtliches wirtschaftliches und politisches Gewicht verfügt, aus internationalen Konflikten heraushalten?
Das hängt ganz entscheidend davon ab, ob die Europäische Union in Zukunft handlungsfähig sein wird. Und es hängt davon ab, ob Franzosen und Deutsche es fertigbekommen, auf außenpolitische Herausforderungen gemeinsam zu antworten. Zurzeit ist die Kooperation zwischen Franzosen und Deutschen nicht so gut, wie sie schon einmal gewesen ist. Es kommt außerdem auf das Verhältnis zu den anderen europäischen Nachbarn an, besonders auf ein gutes Einverständnis mit den Polen.
Sie halten »gutnachbarliche Beziehungen« für die überragende Aufgabe deutscher Außenpolitik. Ist das nicht ein bisschen wenig?
Das ist sehr viel! Abgesehen von Großstaaten wie Brasilien, Russland und China gibt es kein größeres Land auf der Welt, das so viele Nachbarn hat wie Deutschland. Wenn man Russland, England und Italien und außerdem Liechtenstein nicht mitzählt, sind es neun Nachbarn. Fast alle sind unter den Nazis von Deutschland überfallen worden. Gute Nachbarschaft fällt niemandem in den Schoß. Man muss sich Mühe geben, ein guter Nachbar zu sein. Das ist wie in einem Reihenhaus.
In einem Reihenhaus?
Ja. Da haben Sie rechts eine Nachbarfamilie, links wohnt auch eine, und ich bin mit meiner Familie in der Mitte. Die Kinder spielen miteinander, sie zanken sich, sie kommen weinend nach Hause. Und nun müssen die Eltern entweder den Streit zwischen den Kindern fortsetzen, oder sie müssen ihn dämpfen. Es ist selbst im Reihenhaus nicht naturgegeben, dass man gute Nachbarn hat.
Aber den Nachweis guter Nachbarschaft haben die Deutschen ja längst erbracht!
Jemand wie Sie, der relativ jung ist, mag das so sehen. Betrachtet man aber das ganze 20. Jahrhundert, dann waren die Deutschen lange Zeit eben keine guten, sondern böse Nachbarn. Das gilt auch für das 19. Jahrhundert, jedenfalls seit den drei Kriegen, die Bismarck geführt hat, erst gegen Dänemark, dann gegen Österreich, dann gegen Frankreich.
Halten Sie die Forderung, Deutschland solle eine größere Rolle in der Weltpolitik spielen, für unsinnig?
Ich halte sie für unzweckmäßig.
Ist das nicht ein Wegducken vor der realen Stärke, die dieses Land nun einmal hat?
Ob reale oder ob nur eingebildete Stärke: Beides kann zur Anmaßung verführen. Ich glaube nicht, dass Sie mich für einen Feigling halten. Das bin ich nicht!
Wohl wahr: Es heißt, dass Sie mit dem amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter hin und wieder so abschätzig gesprochen hätten, wie Sie heute in den politischen Konferenzen der ZEIT über ihn reden.
Das kann sein. Sicherlich nicht in ausgesuchter Wortwahl, aber deutlich. Nur habe ich mich nie auf die Größe Deutschlands berufen: Ökonomische Stärke oder eine hohe Einwohnerzahl können zu Überheblichkeit, zum Wunsch nach Dominanz verführen. Wir haben 15 Millionen Einwohner mehr als Frankreich, 20 Millionen mehr als Großbritannien und Italien, doppelt so viele wie Polen, fünfmal so viele wie Holland. Es kann Angst machen, einen so großen Nachbarn zu haben.
Nun kommt aber der Ruf, Deutschland möge mehr Verantwortung übernehmen, gerade aus dem Ausland.
Ja, er kommt aus dem Ausland, und die Deutschen sollten darauf freundlich, aber negativ reagieren. Sie sollen sich nicht verführen lassen. Eine stärkere Rolle Deutschlands in der Weltpolitik birgt lauter Gefahren und nützt keinem Deutschen.
Kann die Angst vor Deutschland nicht auch politisch instrumentalisiert werden?
Das kann durchaus vorkommen, man kann Angst auch benutzen. Angst ist oft nicht vernunftmäßig begründet. Und natürlich gibt es in der politischen Klasse oder unter den politischen Journalisten auch immer Leute, die, aus welchen Gründen auch immer, ihren Lesern Angst machen wollen vor den Deutschen.
Während der Fußballweltmeisterschaft 2006 war in Deutschland große Begeisterung zu spüren, die Nationalfarben wurden ganz selbstverständlich gezeigt. Fanden Sie das eher unheimlich oder längst fällig, dass da eine Art Normalität einkehrt?
Weder fällig noch unheimlich. Die Begeisterung wäre in Brasilien noch viel größer gewesen. Auch in Italien.
Da war nichts Anstößiges?
Nein, das war ganz normal. Schon eher hat mich die Überschrift einer
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