Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)
deutschen Zeitung gestört, nachdem der Kardinal Ratzinger zum Papst gewählt worden war: Wir sind Papst!
Die war doch eigentlich ganz originell.
Sehr originell und sehr falsch. Nicht die Deutschen sind Papst, sondern Ratzinger ist Papst.
Finden Sie die Identifikation mit einer deutschen Figur so abwegig?
Die Identifikation mit der Figur des Papstes – egal, wer gerade Papst ist – ist eine Sache. Aber der Stolz darauf, dass ein Deutscher Papst ist, ist eine andere Sache. Und die Plakatierung dieses Stolzes ist eine dritte Sache. Und diese dritte Sache ist gegen meinen Geschmack. Nun können Sie sagen, über Geschmack kann man immer streiten. Sie bleiben bei Ihrer Meinung, ich bleibe bei meiner.
1989, unmittelbar nach dem Fall der Mauer, haben linksradikale Gruppen in Berlin und anderen Städten bei Demonstrationen »Nie wieder Deutschland!« gerufen. Können Sie dieser Losung etwas abgewinnen?
Ich habe der Losung damals nichts abgewonnen und kann ihr heute auch nichts abgewinnen.
Aber sagen Sie nicht etwas ganz Ähnliches?
Nein. Was ich nicht möchte, ist Deutschland als eine große Macht.
Glauben Sie, dass jemand aus Ihrer Generation ein ungebrochenes Verhältnis zu Deutschland haben kann?
Ich habe kein gebrochenes Verhältnis zum eigenen Land. Ich erkenne die Stärken und die Schwächen des eigenen Landes – so, wie ich die Stärken und die Schwächen meines Freundes oder meines Bruders sehe, ohne deswegen ein gebrochenes Verhältnis zu ihnen zu haben. Ich bemühe mich, meinen Bruder oder meinen Freund davon abzuhalten, Dummheiten zu machen. Und ich erwarte von ihnen, dass sie mich davon abhalten, Dummheiten zu machen. So würde ich auch mein Verhältnis zu Deutschland beschreiben.
Was halten Sie von Gustav Heinemanns Satz »Ich liebe nicht den Staat, ich liebe meine Frau«?
Ich habe Gustav Heinemann sehr geschätzt, er war mir ein väterlicher Freund. Er war, ähnlich wie ich, sehr skeptisch gegenüber deutschem Machtbewusstsein, aber nicht grundsätzlich skeptisch gegenüber dem eigenen Staat. Sein zugespitzter Satz ist in einer Diskussion gefallen, in der er aus dem Handgelenk eine Antwort gegeben hat. Ich hätte den Satz so nicht gesprochen.
Würden Sie heute sagen, dass Sie stolz auf Deutschland sind?
Ich habe bisher keinen Grund, das zu sagen.
22. April 2010
»Wahlkämpfe sind keine Festivals der Ehrlichkeit«
Über komplizierte Wahrheiten in der Politik
Lieber Herr Schmidt, Politiker sagen gern den Satz: »Ich weiß, wie es einfachen Menschen geht, ich komme selbst aus einfachen Verhältnissen.« Warum ist diese Floskel so beliebt?
Bei mir ist sie jedenfalls unbeliebt.
Warum?
Das ist plumpe Anbiederung beim Publikum.
Aber es kommt beim Publikum gut an.
Glaube ich nicht. Höchstens bei einigen Leuten. Jedenfalls versuchen Politiker immer wieder, damit gut anzukommen.
Welcher Politiker könnte denn aus gutem Grund von sich behaupten, dass er aus einfachen Verhältnissen stammt?
Mir ist ein englisches Beispiel vor Augen: Kurz nach dem Krieg wurde Ernest Bevin englischer Außenminister, und jeder wusste, er kam aus der Arbeiterschaft. Das war unter Premierminister Attlee. Es gibt auch in Holland so ein Beispiel: Wim Kok, der frühere Ministerpräsident. Der kam auch von unten.
In Deutschland gibt es auch einige Beispiele: Gerhard Schröder, Sohn einer Putzfrau und eines Kirmesarbeiters, lernte nach der Volksschule zunächst bei einem Eisenwarenhändler; Joschka Fischer, Sohn eines Metzgers, ging ohne Abitur vom Gymnasium ab und verdiente seinen Lebensunterhalt zeitweise mit Taxifahren.
Aber Schröder und Fischer haben beide die Universität von innen gesehen, auch wenn Fischer nicht immatrikuliert war. Es ist richtig, dass ihre Eltern kleine Leute waren, aber sie selber hatten bessere Chancen.
Ist es wichtig, dass ein Politiker einfach spricht?
Wichtig ist, dass er verständlich spricht. Aber er darf die Dinge nicht unzulässig vereinfachen, um verstanden zu werden. Es muss wahr sein, was er sagt, und außerdem verständlich. Das ist auf manchen Gebieten schwierig, zum Beispiel auf denen der Finanzen und der Rüstung.
Wie sind Sie selbst mit diesem Problem umgegangen? In Ihrer Amtszeit spielten die Weltwirtschaftskrise und der Nato-Doppelbeschluss eine große Rolle.
Ich habe natürlich versucht, auch über diese komplizierten Dinge in einfachen Worten zu sprechen und gleichzeitig bei der Wahrheit zu bleiben. Manche Leute wollten damals nicht hören, dass es Zusammenhänge
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