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Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Titel: Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt , Giovanni di Lorenzo
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war, machte das berühmte Wort vom »Rentenbetrug« die Runde. In diesem Zusammenhang fiel angeblich dieser Satz.
    Wenn ich das gesagt hätte, dann wäre es sicherlich Ausdruck meiner tiefen Verärgerung gewesen. Die Berechnungen des Arbeitsministeriums waren übrigens deswegen fehlerhaft, weil die ihnen zugrunde liegenden ökonomischen Prognosen falsch waren. Es ging um die Einschätzung der weltwirtschaftlichen Folgen der Ölpreiskrise.
    Arbeitsminister Walter Arendt musste deshalb seinen Hut nehmen.
    Er musste nicht, er wollte. Ich wollte ihn halten. Er fühlte sich von all diesen Vorwürfen getroffen. Ich fühlte mich auch getroffen, aber ich sah keinen Grund, dass deswegen der Arbeitsminister gehen sollte. Die ökonomischen Prognosen stammten ja nicht von ihm. Ich hielt von Walter Arendt sehr viel. Von der Mentalität her war er der gewählte Vorsitzende der Betriebsgewerkschaft des deutschen Steinkohlebergbaus.
    Die Verhandlungen zwischen SPD und FDP zogen sich über viele Wochen hin – was Sie nicht davon abhielt, zwischendurch in die Schweiz zu fahren, um sich von Oskar Kokoschka porträtieren zu lassen. Standen Sie gar nicht unter Zeitdruck?
    Nein, weil absolut sicher war, dass die Koalition fortgesetzt werden sollte.
    Welche Erfahrungen haben Sie mit Koalitionsgesprächen gemacht?
    Ich erinnere mich vor allem an zwei Verhandlungsrunden: Die eine fand 1966 statt, als wir die Große Koalition mit der CDU/CSU begründeten, die andere 1969, als es um die Begründung der ersten sozialliberalen Koalition ging. In beiden Fällen hat man den Fehler vermieden, dass jede Seite vorher ellenlange Papiere mit allen möglichen Details aufschrieb, wie es heute leider üblich ist. Und hinterher ein zweites Mal gemeinsam.
    Warum ist das bedauerlich?
    Wenn man etwas aufgeschrieben und es vielleicht sogar durch einen Fraktionsbeschluss erhärtet hat, dann muss man hinterher darum kämpfen, dass möglichst viel davon auch umgesetzt wird. Bei uns wurden die Ergebnisse der Verhandlungen zwar schriftlich festgehalten, aber nicht veröffentlicht. Heute ist das anders; die jetzige schwarz-gelbe Bundesregierung hat zum Beispiel ein Riesenkoalitionspapier publiziert! Das ist Unsinn. Denn schon nach einem halben Jahr stellt sich heraus, dass dieses Problem falsch gesehen wurde und jenes Problem längst viel wichtiger geworden ist.
    Bei den Verhandlungen von 1969 waren die Koalitionäre so entspannt, dass sie in einer Pause sogar Fußball gespielt haben.
    Das weiß ich nicht mehr.
    Konnten Sie früher Fußball spielen?
    Ja – als Junge.
    Auf welcher Position?
    Ich glaube, damals hatte man fünf Stürmer, drei Läufer, zwei Verteidiger und einen Tormann, und ich war einer von den Stürmern.
    Interessantes Spielsystem …
    So war es auch im Feldhandball: fünf Stürmer, drei Läufer und zwei Verteidiger.
    Sie waren natürlich auch da ein Stürmer?
    Ja, weil ich laufen konnte.
    Weit weniger lustig waren die Koalitionsverhandlungen 1972. Willy Brandt lag im Krankenhaus, Herbert Wehner und Sie führten die Gespräche. Haben Sie sich da immer eng mit Brandt abgestimmt?
    Nein. Brandt hatte eine tiefe Depression. Er hatte einen wunderbaren Wahlsieg errungen, aber anschließend zog er sich zurück und war nicht zu sprechen. Und er bat Wehner und mich, die neue Regierung zusammenzustellen. Das schloss die Koalitionsabsprachen ein.
    War das ganz offiziell eine Depression? Damals hieß es nur, Brandt habe sich einer Stimmbandoperation unterziehen müssen.
    Willy Brandt hatte wiederkehrende Depressionen. Das wurde absolut verheimlicht, ist noch viele Jahre lang verheimlicht worden.
    Wussten Sie, dass er depressiv war?
    Ich habe den Ausdruck »depressiv« damals vielleicht nicht geläufig zur Hand gehabt, aber ich wusste das, ja.
    Es gab also gar keine Abstimmung mit dem Kanzler?
    Horst Ehmke konnte die Schutzmauer um Brandt manchmal durchbrechen. Er ging dann zu ihm und sagte: »Willy, wir müssen regieren!« Auf der anderen Seite hat Ehmke als Chef des Kanzleramtes mitunter etwas par ordre de mufti verkündet, von dem der Mufti gar nichts wusste.
    Er hat also sozusagen Brandts Stelle eingenommen?
    Ja. Deshalb wollten Wehner und ich Horst Ehmke im Kanzleramt durch jemand anderen ersetzen; Ehmke sollte ein anderes Ressort bekommen. Die FDP war damit einverstanden, ebenso wie Brandt. Der hat sich zwar irgendwann später mokiert, das Kabinett hätten ja Wehner und Schmidt gemacht, aber in Wirklichkeit hat er es so akzeptiert, wie wir ihm das

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