Verstoßen: Thriller (German Edition)
an, den Reißverschluss seiner Jacke aufzuziehen. Zog die beiden Hälften langsam auseinander, sodass das Pistolenholster mit der Glock sichtbar wurde. Näherte die Hand dem Griff der Waffe. Fasste die Pistole mit Daumen und Zeigefinger an, als ginge es darum, an einem Tatort Beweismittel sicherzustellen. Zog sie wie in Zeitlupe aus dem Holster und warf sie vor sich auf den Boden.
Er spannte sämtliche Muskeln an. Thierry würde jetzt schießen. Da war er ziemlich sicher. Im nächsten Augenblick wäre er ein Stück seines Fußes los.
Plötzlich wurde die Stille von einem abscheulichen Schrei zerrissen, einem Urschrei, in dem sich Schmerz, Wut und Ohnmacht mischten.
Sven!
Mit wahrer Todesverachtung hatte Sven sich auf den blonden jungen Mann gestürzt, schreiend wie ein tollwütiger Stier, und dessen Handgelenke umklammert. Der Lauf der Beretta schnellte nach oben und schwenkte ruckartig von links nach rechts. Der Schuss blieb aus.
In den zwei Sekunden, die Maier brauchte, um die miteinander ringenden Männer zu erreichen, hatte er das Messer gezogen und die Klinge aufspringen lassen. Kurz sah es aus, als wollte er Thierry über den Haufen rennen. Doch mit der gleichen Bewegung packte er ihn, riss ihn nach vorn und nahm den blondschöpfigen Kopf in einen stahlharten Schwitzkasten. Thierry fing zu kreischen an wie Schlachtvieh, hoch, dünn und wahnsinnig, als die zwölf Zentimeter lange, glatt polierte und scharf geschliffene Stahlklinge bis zum schweren Griff aus Kunststoff in seinem Bauch verschwand. Der Stahl traf nicht auf den geringsten Widerstand. Glitt mühelos durch die zähe Haut. Schnitt sich einen verwüstenden Weg durch das weiche Organfleisch.
Maier dachte weder an die Beretta, noch an Sven und Thomas. Ein neuer Gedanke, der alles andere in den Hintergrund drängte, hatte sich seiner bemächtigt: Bring das hier zu Ende .
Er zog Thierry näher an sich heran, ruckelte am Messer, drehte die Klinge im Fleisch herum. Zog sie heraus und stach erneut zu. Warme Flüssigkeit lief über seine Handschuhe und die nackten Handgelenke. Er spürte, wie der fremde Körper in seiner tödlichen Umarmung zuckte und erzitterte. Rauschhaft
durchfuhr ihn plötzlich die Erkenntnis, dass der jetzt angerichtete Schaden nicht mehr zu beheben wäre. Fatal.
Das Gekreische war verstummt. Er spürte keinerlei Widerstand mehr.
Maier zog das Messer zurück und gab den Körper des anderen frei. Keuchend trat er einen Schritt zurück, am ganzen Leib zitternd. Dass Sven neben ihn trat, bekam er nur halb mit. Die Beretta noch in der Hand, sah der dem mörderischen Schauspiel atemlos zu, mit offenem Mund und Abscheu im Blick.
Thierry sackte in sich zusammen, die blutigen Fäuste gegen den Magen gepresst. Stürzte zuckend vornüber. Hustete Blut, das dunkelviolette Flecken auf seiner Jeans hinterließ. Sein Gesicht sank auf den knochentrockenen Lehmboden herab, sein Körper zuckte leicht, ein Zittern durchlief ihn.
Maier sah zu, wie Thierrys Körper von Konvulsionen erschüttert wurde, bis der letzte Hauch Leben aus ihm gewichen war.
Alles wurde still.
Als hielte die Welt die Luft an.
Keine Vögel. Kein Autolärm. Keine Grilllen.
Nur eine leichte Brise, die wie ein unsichtbarer Zeigefinger an einer von Thierrys blonden Haarlocken zog.
Maier und Sven standen wie erstarrt, nicht in der Lage, irgendetwas zu tun oder zu sagen.
»War das … jetzt wirklich nötig?«, durchbrach Sven schließlich die Stille.
»Schießen ging nicht. Zu laut.«
Brennende Lunten gehörten ausgetreten .
»Ich hatte seine Pistole umklammert. Wir waren zu zweit. Er konnte unmöglich …«
»Sven?«
»Ja?«
»Er muss hier weg.«
Sven nickte. »Ja, ja«, sagte er geistesabwesend, als hörte er gar nicht richtig zu. »Ich weiß.« Mechanisch steckte er die Beretta in den Hosenbund, unfähig, den Blick von dem abgeschlachteten Menschen, der ihm zu Füßen auf dem Stoppelfeld lag, abzuwenden.
»Wie ist er freigekommen?«, fragte Maier. Er beugte sich vor, um Thierry unter die Achseln zu fassen.
Der junge Mann konnte kaum mehr als siebzig Kilo wiegen, fühlte sich aber um einiges schwerer an. Maier spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte. Er schleifte die Leiche in den Schutz der Bäume am Waldrand, wobei er sich bemühte, seine wachsende Übelkeit zu unterdrücken. Er konnte sich nicht erinnern, sich jemals so dreckig gefühlt zu haben. Seine Handschuhe waren blutverschmiert, die Handgelenke ebenfalls.
Er sah Sven an, der noch immer keine Antwort
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