Verstoßen: Thriller (German Edition)
gegeben hatte. Regungslos stand er auf dem Feld, den gesenkten Blick auf den blutdurchtränkten Boden vor seinen Füßen gerichtet.
»Sven?«
Keine Reaktion. Maier ging zu ihm zurück. Hielt den Kopf schief, um seinem Nachbarn in die Augen schauen zu können. Geistesabwesend starrte Sven vor sich hin. Maier erwartete, dass er jeden Moment in Tränen ausbrach. Aber nichts dergleichen. Als ob irgendeine Verbindung abgerissen, der Kontakt zu seiner Gefühlswelt lahmgelegt wäre.
Unter Schock.
»Er … er musste pinkeln«, fing Sven unvermittelt zu stottern an, ohne den Blick zu heben. »Ich hatte die Wahl: entweder ihn losbinden oder ihm helfen. Also hab ich die Beretta geladen und den Plastikstreifen durchgeschnitten. Und erst hinterher ist mir eingefallen, dass ich gar keine neuen Dingens, äh …«
»Kabelbinder.«
»… Kabelbinder, genau, dass ich die gar nicht hatte. Die steckten ja in deinem Rucksack.«
Nachdenklich musterte Maier das blasse Gesicht seines Freundes, der auf einen Schlag dreißig Jahre gealtert zu sein schien.
Sven schaute auf. Sein Blick glitt zum Waldrand und ruhte dann auf Thierrys Leiche. Seine Miene verhärtete sich.
»Er war es«, sagte er plötzlich, »er hat Thomas entführt. Und Valerie halb zu Tode gewürgt, bis sie in Ohnmacht gefallen ist. Es hat ihm sogar Spaß gemacht, meinte er. Und dann hat er noch gesagt, als Nächstes wird er …« Sven schüttelte den Kopf, bekam die Worte nicht heraus. Mit den Handballen wischte er sich imaginären Schmutz aus den Augen.
Aus Erfahrung wusste Maier, dass das, was Sven da wegwischen wollte, sich nicht einfach wegwischen ließ. Nie mehr.
Entweder lernte er, damit zu leben, oder er ließ sich davon in den Wahnsinn treiben.
»Der wird gar nichts mehr«, sagte Maier. »Hilf mir mal. Wir legen ihn in den Kofferraum.« Sein Blick wanderte in Richtung des Hofs. »Wir sehen schon noch, was wir mit ihm machen.«
So gut es eben ging, hatten sie sich frisch gemacht. Während Sven in dem alten Bad unter die Dusche gestiegen war, hatte Maier am Küchenfenster Wache gehalten, mit durchgeladener Glock. Dann hatten sie getauscht.
Es hatte lange gedauert, bis das abfließende Wasser nicht mehr von rosaroten Schlieren durchzogen war, so viel Blut hatte er aus seiner Kleidung und den Handschuhen herausgespült. Nachdem er selbst und seine Klamotten wieder sauber waren, hatte er noch die Terrakotta-Fliesen im Flur geschrubbt.
Jetzt standen sie zusammen in der Küche. Svens Arm steckte in einer provisorischen Schlinge, gemacht aus einem Laken, das Maier im Wäscheschrank gefunden hatte. Sein eigener schwarzer Rollkragenpullover war vom chlorhaltigen Leitungswasser noch ganz feucht. Maier unterdrückte ein Frösteln. Durch die
nassen Klamotten und den Mangel an Sonnenlicht hinter diesen dicken Wänden war sein Körper völlig ausgekühlt.
Auch fühlte er sich auf sonderbare Weise niedergeschlagen. Als hätte er all seine Trümpfe verspielt.
»Können wir mit den Handys irgendwas anfangen?« Mit einem Nicken deutete Sven auf die beiden identischen französischen Alcatels auf dem Esstisch aus Eichenholz.
Maier schüttelte den Kopf. »Ich hab schon geschaut. Die Adressbücher sind leer.«
»Und die gewählten Rufnummern?«
»Wenn sie zum Beispiel einen Code vereinbart haben, kann das kontraproduktiv sein.«
Als Sven ihn verständnislos ansah, fügte er hinzu: »Wenn sie zum Beispiel verabredet haben, sich bei Anrufen mit einer bestimmten Begrüßungsformel zu melden oder so etwas.«
Sven wischte sich mit dem Ärmel seines blauen Replay-T-Shirts den Schweiß von der Stirn. »Können wir’s nicht einfach ausprobieren?«
»Nein. Zu riskant.«
»Was dann?«
»Warten, bis sich jemand meldet. Wenn sie von Thierry und dem anderen Typen nichts mehr hören, werden sie irgendwann schon von selbst auf die Idee kommen, hier mal nach dem Rechten zu schauen.«
»Geht das nicht auch anders?«
»Ich wüsste nicht, wie. Du?« Plötzlich fiel Maier das Labor wieder ein. »Hier im Keller ist so eine Art von Labor. Vielleicht wirst du schlau draus.«
Sven schwieg.
»Sven?«
»Was … was für ein Labor?«
»Ich dachte, dass du das vielleicht wüsstest.«
Sven folgte ihm über die Treppe in den Keller. Maier schloss
die Tür auf. Das Licht brannte immer noch. Er schaute schräg über die Schulter nach oben. Bewegungsmelder.
Erneut fiel ihm der frappierende Kontrast zu den anderen Räumen des Hauses auf. Hier war es frisch und roch nach Chlor, während
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