Verstoßen: Thriller (German Edition)
Musik hier unten. Ein alter Bauernhof von Hunderten in der Gegend. Wer erwartete schon inmitten dieser ländlichen Region ein so modernes Labor?
Einen Augenblick lang vergaß er alles andere: Thomas, die Leiche im Flur und die Tatsache, dass er sich beeilen musste.
Er stieg die vier weiß gefliesten Stufen hinunter und sah sich die kleinen Fläschchen und Gefäße in den Gestellen an. Sie enthielten Flüssigkeiten, und die Etiketten waren mit irgendwelchen Codes beschriftet, die er beim besten Willen nicht entziffern konnte. Sven vielleicht schon. Der hatte Medizin studiert.
Das konnte warten.
Jetzt erst Thomas.
Die einzigen Räumlichkeiten, die er noch nicht untersucht hatte, waren die Scheune rechts neben dem Haus und der halb verfallene Speicher.
Er verließ den Raum und steckte die Schlüssel in die Hosentasche. Im Flur begegnete er wieder dem Toten und einem ganzen Schwarm von Fliegen, die ihn als Futterstelle für ihre Nachkommenschaft entdeckt hatten. Er stieß die Tür zum Salon auf und schleppte die Leiche hinein. Das Hemd, klebrig vom stellenweise schon geronnenen Blut, war bis unter die Achseln hochgerutscht und gab einen schwarz behaarten Bauch mit rotbraunen Blutflecken und blasser Haut preis.
Maier machte die Tür wieder zu und ging nach draußen. Einer der Schlüssel aus der Tasche des Toten passte zur Haustür. Er schloss auf und lief zur Scheune hinüber. Blieb stehen, lauschte, hörte aber nichts als die vertrauten Geräusche der Grillen, Vögel und Fliegen – sowie das Rauschen der Autobahn. Hier war offenbar sonst niemand.
Er verbrachte noch etwa zehn Minuten in der Scheune. Suchte nach Bodenluken und unauffälligen Türen. Öffnete alte Futtertruhen und stieß auf eine Armeekiste aus dem Zweiten Weltkrieg, vollgestopft mit vermotteten Decken, aber weit und breit war kein Kind. Ganz vorsichtig, in banger Erwartung dessen, was er womöglich entdecken würde, hob er den Deckel einer alten Kühltruhe an. Der Anblick eines toten Mannes war schon kein besonders erquicklicher gewesen. Der eines toten Kindes hätte ihm den Schlaf geraubt. Da war er ziemlich sicher.
Von Thomas keine Spur.
Es wurde allmählich Zeit, zu Sven und ihrem gemeinsamen neuen Freund zurückzukehren, dem Blondschopf. Dieser Thierry wusste bestimmt mehr, als er verraten hatte. Dem musste man noch mal gründlich auf den Zahn fühlen.
Er ging durch die Scheune, blieb am Eingang sicherheitshalber noch einmal stehen und warf einen Blick nach rechts auf die Wagenspur, die von Sträuchern und Bäumen flankiert wurde. Nichts als Hitzeflimmern und Grillengezirp. Es war wirklich verdammt heiß. Das setzte ihm allmählich richtig zu. Sein Pullover war am Rücken völlig durchgeschwitzt, und der feuchte Rollkragen fing an zu jucken.
Er spurtete auf die andere Seite des Wegs und duckte sich hinter die Sträucher. Möglicherweise war das ganz überflüssig, aber er wollte lieber jede Begegnung vermeiden. Nachdem er sich etwa fünfhundert Meter durchs Gestrüpp geschlagen hatte, landete er wieder vor dem Graben. Hier zog er sich die Biwakmütze vom Kopf. Besonders viel Erleichterung brachte das nicht. Es war trotzdem noch knallheiß, und er spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken runterlief.
Gebückt lief er auf dem harten, unebenen Boden des Grabens zurück. Als er den Waldrand erreicht hatte, schlug er sich wieder in die Sträucher und arbeitete sich zielstrebig in Richtung der Autos vor.
Er hielt nach Sven Ausschau, konnte ihn aber nirgends entdecken. Vielleicht hatte er sich irgendwo hingesetzt oder machte ein Nickerchen im Wagen. Es war schließlich auch für ihn eine lange Nacht gewesen.
Maier spürte es selbst. Er lechzte nach einem Becher starken Kaffee.
Als er den Standplatz der beiden Wagen erreicht hatte, verschwand seine Müdigkeit schlagartig.
Eine eiskalte Hand klammerte sich um seinen Magen.
Sven saß mit geschlossenen Augen an das Hinterrad des Laguna gelehnt. Mit der linken Hand fasste er sich an den rechten Oberarm. Blut. In seinem Gesichtsausdruck mischten sich Schuldbewusstsein und blanke Panik.
Maiers Augen schossen schnell von links nach rechts. Die
Zweige, die den Mercedes verdeckt hatten, waren verschwunden, und der Kofferraum stand sperrangelweit offen.
»Wo ist Thierry, verdammt?«, zischte er, wobei er Svens Zustand einfach überging.
Mit einem Nicken deutete Sven auf den Waldrand und stammelte: »T… tut mir leid …«
Jetzt quetschte die Hand den Magen zusammen.
Thierry stand keine fünf
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