Versuch über die Müdigkeit
vollzähligen Dorfkindern oben im Scheunendachboden, die das Stroh in die hintersten Winkel zu schleppen und in die letzten freien Schlüpfe zu stopfen und festzutreten hatten, je mehr sich davon zwischen ihnen auftürmte, desto mehr schon im Finstern. Das alles dauerte, bis der Wagen vor dem Tor, sein Leichterwerden anzeigend durch ein Lichterwerden in der Scheune, leer war, ohne Pause, in einem rasch ineinandergreifenden Verlauf, den aber ein Fehlgriff sofort ins Stocken oder Schleudern brachte. Auch der letzte in der Kette, gegen Ende der Dreschstunde oft schon eingezwängt, fast ohne Spielraum, zwischen den Strohbergen, konnte, wenn er für das immer noch weiter rasch nachgeschobene Stroh nichtim Handumdrehen noch im Dunkeln neben sich einen Platz fand, den Ablauf stören, indem er, nah am Ersticken, von seinem Posten flüchtete. Aber war das Dreschen wieder einmal glücklich vorbei, die allesübertönende Maschine – auch keine Verständigung schreiend Mund an Ohr möglich – abgeschaltet: Was für eine Stille, nicht nur in der Scheune, sondern im ganzen Land; was für ein Licht, das, statt zu blenden, einen nun umfing. Während sich die Staubschwaden legten, versammelten wir uns mit wankenden Knien, taumelnd und torkelnd, das dann auch schon ein wenig im Spiel, draußen im Hof. Unsere Beine und Arme waren zerkratzt; Ährengräten steckten in den Haaren, zwischen Fingern und Zehen. Das Nachhaltigste aber an diesem Bild sind unsere Nasenlöcher: vom Staub nicht nur grau, sondern schwarz, bei den Männern, den Frauen wie uns Kindern. So saßen wir – in meiner Erinnerung immer draußen in der Nachmittagssonne – und genossen redend oder schweigend die gemeinsame Müdigkeit, von dieser, die einen auf der Hofbank, die andern auf der Wagendeichsel, die dritten weiter weg schon im Grasder Bleiche, tatsächlich wie versammelt, in einer episodischen Eintracht, auch aller Nachbarn, auch der Generationen. Eine Wolke von Müdigkeit, eine ätherische Müdigkeit vereinte uns damals (bis sich die nächste Garbenladung ankündigte). Bilder solcher Wir-Müdigkeiten aus der Dorfkindheit habe ich noch mehr.
Verklärt da nicht die Vergangenheit?
Wenn die Vergangenheit so war, daß sie es schafft, zu verklären, so soll sie mir recht sein, und ich glaube solcher Verklärung. Ich weiß, daß diese Zeit eine heilige war.
Aber ist der Gegensatz, den du da nahelegst, zwischen gemeinschaftlichem Handwerk und Alleinarbeit, am Automaten, nicht eine bloße Meinung und also vor allem ungerecht?
Nicht auf so einen Gegensatz kam es mir mit dem Erzählen gerade an, sondern auf das reine Bild; sollte aber, gegen meinen Willen, sich eine Gegensätzlichkeit aufdrängen, so hieße das, es wäre mir kein reines Bild zu erzählen gelungen, und ich muß mich im folgenden noch mehr als bisher hüten, in der Darstellung des Einen dieses stillschweigend gegen ein Anderes auszuspielen – es darzustellen auf Kosten des anderen, wie es das Kennzeichen des Manichäischen – nur das Gute, nur das Böse – ist, welches heutzutage sogar schon im Erzählen vorherrscht, der ursprünglich am meisten von Meinungen freien, weitherzigsten Weise zu reden: Hier erzähle ich euch von den guten Gärtnern, aber nur, um dort um so mehr von den bösen Jägern reden zu können. – Tatsache ist aber, daß ich von den Müdigkeiten der Handwerker herzbewegende, erzählbare Bilder habe, von denen der Automatenbediener dagegen (noch) keine. Damals, in der gemeinsamen Müdigkeit nach dem Korndreschen, sah ich mich einmal unter so etwas wie einem Volk sitzen, einem Volk, wie ich es mir später in meinem Land Österreich immer wieder gewünscht und immer mehr vermißt habe. Nicht von »ganzer Völker Müdigkeiten«, den auf den Lidern eines einzelnen, eines Spätgeborenen, lastenden, spreche ich, sondern von dem Wunschbild der Müdigkeit des einen, bestimmten, kleinen Volkes der zweiten Nachkriegsrepublik: daß all deren Gruppen, Stände, Bünde, Korps, Domkapitel einmal so rechtschaffen müde wie wir Dörfler damals dasäßen, gleich auf gleich in der gemeinsamen Müdigkeit, von ihr geeinigt und vor allem gereinigt. Ein französischer Freund, ein Jude, der während der deutschen Besatzung versteckt leben mußte, erzählte einmal, natürlich verklärend, aber um so mehr einleuchtend, nach der Befreiung sei dann »wochenlang ein Strahlen durch das ganze Land gegangen«: und so ähnlich wäre auch meine Vorstellung von einer gemeinsamen österreichischen
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