Versuchung Pur
tatsächlich auf eine Unterhaltung mit ihm eingelassen hatte. Ihr war auch klar, dass sie längst nicht mehr von Roberta sprachen. Plötzlich schienen die Ställe sehr still und sehr einsam. »Nun, da wir das also geklärt haben …«
Er machte einen Schritt vor, sie einen zurück. Ein Lächeln spielte um seine Lippen, als er nach ihrer Hand griff. Eden stieß mit dem Rücken an die ruhig dastehende Stute, hob abwehrend die andere Hand und legte sie an seine Brust.
»Was wollen Sie?« Warum flüsterte sie? Und warum bebte ihre Stimme so?
Chase wusste nicht genau, was er wollte. Sein Blick flog über Edens Gesicht und heftete sich dann wieder auf ihre Augen. Oder vielleicht wusste er es doch. »Einen Spaziergang im Mondschein mit Ihnen machen. Glaube ich. Auf die nächtlichen Schreie der Eulen lauschen und auf den Gesang der Nachtigall warten.«
Die Schatten waren weitergewandert und ineinander übergegangen. Die Stute stand regungslos, atmete leise. Chases Hand war irgendwie in Edens Haar gewandert – so als würde sie dorthin gehören. »Ich muss wieder rein«, murmelte Eden. Doch sie rührte sich nicht.
»Eden und der Apfel«, murmelte er. »Sie können nicht ahnen, wie verlockend ich diese Kombination finde. Kommen Sie, gehen wir zusammen spazieren.«
»Nein.« Etwas baute sich in ihr auf, viel zu schnell. Er berührte sie, nicht nur ihre Hand, viel mehr als nur ihr Haar. Er hatte etwas gefunden, von dem er nicht hätte wissen dürfen, dass es in ihr existierte.
»Früher oder später.« Er war schon immer ein geduldiger Mann gewesen. Er konnte auf sie warten, so wie er wartete, bis ein neu gesetzter Baum Früchte trug. Seine Finger glitten zu ihrem Hals, streichelten ihn flüchtig. Er spürte den leisen Schauer, der sie durchlief. »Ich komme wieder, Eden.«
»Das wird nichts ändern.«
Mit einem Lächeln zog er ihre Hand an seine Lippen, küsste die Innenfläche. »Ich komme trotzdem wieder.«
Eden lauschte auf seine Schritte. Das Tor quietschte, als er es öffnete und wieder hinter sich schloss.
3. K APITEL
Im Camp spielte sich Routine ein, und Eden passte sich ihr an. Das frühe Aufstehen und die langen Tage, angefüllt mit körperlichen Aktivitäten, und das schlichte, nahrhafte Essen bedeuteten für sie sowohl Trost als auch Herausforderung. Das Selbstvertrauen, für das sie vor nicht allzu langer Zeit so hart hatte arbeiten müssen, festigte sich mehr und mehr.
Im ersten Monat gab es Abende, an denen sie in der festen Überzeugung ins Bett fiel, sich am nächsten Morgen ganz sicher nicht rühren zu können. Ihre Muskeln schmerzten vom Rudern, vom Reiten und von den langen Wanderungen. Ihr schwirrte der Kopf von den Etatplänen und der Buchführung. Doch wenn am nächsten Morgen dann die Sonne aufging, stand auch Eden wieder auf.
Mit jedem Tag wurde es einfacher für sie. Sie war jung und gesund. Die tägliche körperliche Ertüchtigung trainierte Muskeln, die bis dahin nur von gelegentlichen Tennismatches beansprucht worden waren. Das Gewicht, das sie seit dem Tode ihres Vaters verloren hatte, kehrte zurück. Inzwischen sah sie nicht mehr ganz so zerbrechlich aus.
Zu ihrer Überraschung begann Eden, die Mädchen mit der Zeit richtig gern zu haben. Sie waren längst nicht mehr nur eine Gruppe, die beschäftigt und beaufsichtigt werden musste, oder gesichtslose Namen, die in den Bilanzen auftauchten. Sie waren richtige kleine Individuen geworden. Fast noch mehr erstaunte Eden, dass ihre Zuneigung erwidert wurde.
Dass die Mädchen Candy lieben würden, dessen war Eden sich von Anfang an sicher gewesen. Jeder liebte Candy. Sie war warm und herzlich, lustig und kompetent.
Für sich selbst hatte Eden eigentlich nur darauf gehofft, dass man sie tolerieren und akzeptieren würde. An dem Tag, als Marcie ihr einen Strauß Wiesenblumen gepflückt hatte, da war Eden so verdattert, dass sie nicht mehr als ein »Danke schön« stammeln konnte. Und dann war da noch der Nachmittag gewesen, an dem sie Linda Hopkins eine zusätzliche Reitstunde gegeben hatte. Nach dem ersten Galopp war Linda Eden begeistert um den Hals gefallen.
Das Camp hatte Edens Leben verändert – in sehr viel mehr als nur einer Hinsicht. Und sehr viel mehr, als sie je erwartet hätte.
Mit dem Juli kam die Hitze. Die Mädchen liefen in Shorts über das Gelände. Schwimmen im See wurde zum erlösenden Luxus für alle. Die Fenster und Türen der Hütten blieben auch nachts offen, um die kühle Brise hereinzulassen. Roberta hatte eine
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