Versuchung Pur
Schloss.
Die nächsten beiden Tage funktionierte Eden. Sie gab Reitunterricht, beaufsichtigte die Mahlzeiten und wanderte mit den Mädchen zusammen durch die Berglandschaft. Sie redete und hörte zu und lachte, aber die Leere, die sich in ihr ausbreitete, seitdem sich die Tür hinter Chase geschlossen hatte, wuchs immer weiter an.
Schuld und Bedauern, das waren die Gefühle, die sie nicht abschütteln konnte, ganz gleich, mit welcher scheinbaren Begeisterung sie sich auch am Leben im Camp beteiligte. Sie hatte sich falsch verhalten. Und hatte es gewusst, schon im gleichen Augenblick. Doch ihr Stolz hatte sie dazu gebracht. Chase hatte angeboten, zu helfen. Er hatte ihr sein Mitgefühl angeboten, und sie hatte ihn abgewiesen. Wenn es überhaupt etwas Selbstsüchtigeres gab als ihr Verhalten, dann konnte sie es nicht benennen.
Sie wollte ihn anrufen, doch sie brachte es nicht über sich, seine Nummer zu wählen. Dieses Mal war es jedoch nicht ihr Stolz, der sie davon abhielt. Jede Entschuldigung, die ihr einfiel, war passend und angebracht – und bedeutungslos. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, sich gestelzt bei ihm zu entschuldigen. Und noch viel weniger, dass ihn das nicht mehr kümmerte.
Welch zartes Pflänzchen auch immer zwischen ihnen gewachsen war, sie hatte es zertreten. Was immer es gewesen sein mochte, sie hatte es abgeschnitten, bevor es aufblühen konnte. Wie sollte sie Chase erklären, dass sie das nur aus Angst getan hatte – aus Angst, erneut verletzt zu werden? Wie sollte sie ihm nur erklären, dass sie seine Hilfe und Unterstützung nicht angenommen hatte, weil es so leicht war, sich wieder abhängig zu machen – und sie sich genau davor fürchtete?
Eden nahm ihre nächtlichen Ausritte wieder auf. Doch die Einsamkeit brachte ihr nicht mehr die Ruhe wie einst, zeigte ihr nur, dass sie mit ihrer Entscheidung sichergestellt hatte, auf ewig einsam zu bleiben. Es waren laue Sommernächte, und der Duft des Geißblatts brachte die Erinnerung an die Nacht zurück, als sie und Chase gemeinsam Sternbilder betrachtet hatten. Nie wieder würde sie in den Himmel sehen können, ohne an ihn zu denken.
Vielleicht schlug sie deshalb diesen Weg ein. Das Gras war weich und dicht, die Hufe sanken ein. Eden konnte den See riechen und die Wildblumen, und sie lauschte dem Flügelschlag eines Vogels über sich. Vielleicht war er auf der Suche nach Beute oder nach einem Gefährten.
Dann sah sie ihn.
Es war abnehmender Mond, sie erkannte nur seine Silhouette. Doch sie spürte, dass er sie beobachtete. Genauso, wie sie auch geahnt hatte, dass sie ihn heute hier treffen würde. Sie ließ die Magie ihre Wirkung tun. Für den Moment, selbst wenn es nur ein flüchtiger Moment sein sollte, würde sie an nichts anderes denken als daran, dass sie ihn liebte. Das Morgen würde sich so oder so nicht aufhalten lassen.
Eden glitt aus dem Sattel und ging zu ihm.
Chase sagte nichts. Bis sie ihn berührte, war er sich nicht einmal sicher gewesen, ob sie nicht vielleicht nur ein Traum war. Stumm umfasste sie sein Gesicht mit beiden Händen und presste ihre Lippen auf seinen Mund. Kein Traum fühlte sich so warm an, keine Illusion so weich.
»Eden …«
Mit ihrem Kopfschütteln brachte sie ihn zum Verstummen. Wochen der Leere waren vergangen. In diesem Moment gab es keine Fragen, keine Antworten. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn noch einmal. Der einzige Laut war ihr Seufzen, als er endlich die Arme um sie schlang. Eine unerschöpfliche Quelle begann in ihr zu sprudeln. Ihre Gefühle gingen weit über Leidenschaft, weit über Verlangen hinaus. In Chases Armen fand sie die Geborgenheit, die Stärke und das Verständnis, die anzunehmen sie sich so gescheut hatte.
Chase vergrub seine Finger in Edens Haar, als müsse er sich davon überzeugen, dass sie tatsächlich aus Fleisch und Blut war. Als er die Augen wieder öffnete, hielt er sie noch immer in seinen Armen. Ihre Wange schmiegte sich an seine kratzigen Bartstoppeln. Den Kopf an seine Schulter gelehnt, betrachtete sie den funkelnden Flug der Glühwürmchen und dachte an die Sterne.
Schweigend und reglos standen sie so da. Eine Eule schrie, das Pferd wieherte leise.
»Warum bist du gekommen?« Er brauchte eine Antwort, eine, die er mit sich zurücknehmen konnte, wenn sie ihn wieder verließ.
»Um dich zu treffen.« Sie zog sich zurück, nur ein wenig, um ihn ansehen zu können. »Um mit dir zusammen zu sein.«
»Wieso?«
Die Magie schimmerte auf
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