Versuchung
Ich hörte einen grauenhaften
Schrei, dann das laute Weinen eines Babys. Eine wunderschöne Frau lag
verschwitzt in einem großen Bett und um sie herum standen mehrere Zofen, die
sich um sie und das Kind kümmerten. Das Zimmer wirkte etwas altertümlich, war
aber edel eingerichtet und sprach für ein äußerst wohlhabendes Haus.
Die Anstrengung
stand der Frau ins Gesicht geschrieben, doch sie wirkte glücklich. Sie streckte
die Arme nach dem Säugling aus, den sie gerade geboren hatte. Eine ihrer Zofen verließ
das Zimmer, eine andere säuberte das Kind.
Es war seltsam,
doch ich wusste gleich, wen ich hier vor mir hatte. Die Frau war Lilith, Devils
Mutter, und das Baby war er selbst.
Die Zofe wickelte das
Kind in Tücher und kam auf sie zu.
„Es ist ein Junge“,
erklärte sie und wollte ihn der Kaiserin reichen, die bereits die Arme nach ihm
ausstreckte. Da schwang die Tür auf und mehrere Männer traten herein.
„Nein!“, schrie
Lilith, und Verzweiflung legte sich in ihren Blick.
Die Zofe wich mit dem
Säugling beiseite, während die Kaiserin panisch schrie: „Ihr nehmt mir nicht
auch noch dieses Kind! Das lasse ich nicht zu!“
Sie begann, einen
Zauber zu rufen, kam jedoch nicht mehr dazu, ihn zu Ende zu führen.
„Bindet ihre Kräfte!“,
befahl einer der Soldaten, woraufhin mehrere Männer herbeisprangen und
leuchtende Seile aus ihren Händen stießen. Sie wickelten sich um Lilith, die unaufhörlich
und wie wild schrie und sich zu wehren versuchte.
„Ihre Magie ist nun
versiegelt“, erklärte ein großer, breitschultriger Kerl.
Der Soldat nickte
zufrieden und ging auf die Zofe zu, die mit schreckgeweiteten Augen das Kind an
sich drückte.
„Gebt es mir. Wir
müssen den Test durchführen.“
Langsam und voller
Angst reichte sie es ihm.
„Nein!“ Die Stimme
der Kaiserin ging in ein markerschütterndes Kreischen über. Tränen rannen ihr
die Wangen hinab. „Bitte, tötet ihn nicht!“
Ihre Worte überraschten
mich, ebenso der große Behälter, der nun in den Raum getragen wurde.
„Was … was ist
das?“, fragte ich, während mich das Grauen erfasste.
Alron stand an eine
Wand gelehnt und sah dem Geschehen mit ernster Miene zu.
„Chamus Velmont
hatte von einer Seherin die Prophezeiung erhalten, er würde einst Kaiser über
diese Welt und Vater des Auserwählten werden. Bis zu diesem Tag hatte sich erst
ein Teil der Voraussage erfüllt. Er war tatsächlich an die Krone gelangt, doch
seine Kinder hatten bislang alle nicht das Zeichen getragen.“
Ich wusste, wovon er
sprach.Ich hatte in meinem ersten Schuljahr in
Necare in dem Buch „Wissen, um zu überleben“ davon gelesen. Dort hieß es, dass
der Occasus durch die sogenannte Triskele, eine Kombination aus drei Kreisbögen
und vier Runen, gekennzeichnet war. Was ich jedoch bisher nicht gewusst hatte,
war, dass der Kaiser außer Devil noch andere Kinder hatte …
„Kinder?“, fragte
ich nach. „Devil hat Geschwister?“
Alron wich meinem
Blick aus.
„Keine, die noch am
Leben sind. Sie sind allesamt bei diesem Test umgekommen.“
In diesem Moment trug
der Mann Devil zu dem Behälter.
„Was hat das zu
bedeuten?“, fragte ich und merkte, wie ich langsam unruhig wurde.
„Das Symbol wird
nur bei Kontakt mit einer ganz bestimmten Substanz sichtbar. Der Occasus ist
gleichzeitig auch der Einzige, der gegen sie immun ist. Für alle anderen Dämonen
ist sie leider tödlich.“
Ich konnte diese
Graumsamkeit kaum fassen! Chamus hatte seine Leute tatsächlich beauftragt,
jedes seiner neugeborenen Kinder auf dieses Zeichen hin zu testen, und dafür
bereitwillig in Kauf genommen, dass sie allesamt dabei umkamen?
„Für ihn war einzig
und allein der Occasus wichtig. Alles andere interessierte ihn nicht“, hörte
ich Alron sagen, während ich mit ansah, wie der Mann Devil in die Flüssigkeit
warf. Ich starrte fassungslos auf das Geschehen vor mir und hörte Lilith aus Leibeskräften
schreien. Doch plötzlich sah ich ein helles Leuchten. Ganz langsam schwebte das
Baby aus dem Gefäß in die Höhe und kam wenige Zentimeter darüber zum Stehen. Es
war unverletzt und an seinem Fußgelenk leuchtete in hellen, glühenden Farben
die Triskele. Alle Umstehenden ließen sich auf ihr rechtes Knie sinken und
legten die rechte Faust auf ihre linke Brust.
„Er ist es“, flüsterte
der Soldat ehrfurchtsvoll. „Er ist es!“, rief er daraufhin. „Los, geht
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