Versunkene Gräber - Roman
irgendein hübscher Mensch muss nun mit seinem Zinken herumlaufen.
Es war windig und kühl. Meteorologisch gesehen war Hochsommer. Deshalb war es auch nicht richtig kalt, doch der Wind zerrte an ihrer dünnen Jacke, wehte ihr die Haare ins Gesicht und blies immer wieder die Flamme ihres kleinen Einwegfeuerzeuges aus. Sie sah hinüber zu ihrem Wagen und überlegte, ob sie einsteigen und drinnen rauchen sollte, als ein schwarzer BMW mit Berliner Kennzeichen auf den Parkplatz direkt daneben fuhr. Ein hochgewachsener, schlanker Mann mit kurzen eisgrauen Haaren stieg aus. Er ließ den Blick über die Plattenbaufassade gleiten, ging dann zum Kofferraum, öffnete ihn und holte einen Mantel und einen Aktenkoffer heraus. Zuzanna hatte solche Leute schon immer bemerkenswert gefunden. Männer, die ihre Pilotenkoffer, Frauen, die ihre lackierten Einkaufstüten in leeren, ausgesaugten Kofferräumen verstauten. Ein Auto gab mehr Auskunft über den Besitzer als Kleidung, Wohnung und Beruf zusammen.
In ihrem Kofferraum sammelte sich Sperrmüll.
Der Mann eilte durch den böigen Wind auf den Eingang zu. Bevor die Tür hinter ihm zufiel, bekam sie mit, wie er dem Pförtner seinen Ausweis zeigte und nach Marek Zieliński fragte. Das war interessant. Sie steckte ihre Zigaretten ein und ging zurück ins Haus.
Der Pförtner sprach kein Deutsch. Der Mann versuchte es noch einmal.
»Ich bin … adwokat. Mein, ähm … Klient … Marek Zieliński .«
»Ich bin nicht befugt, Ihnen Auskunft zu geben«, parlierte der Pförtner in schönstem Polnisch. Wohl wissend, dass der Mann nur Bahnhof verstand.
Zuzanna, mehr von Neugier als von Hilfsbereitschaft getrieben, schaltete sich ein. »Entschuldigen Sie bitte. In welcher Angelegenheit sind Sie hier?«
Der Mann lächelte erleichtert. Er hatte hellblaue, fast graue Augen und ein schmal geschnittenes Gesicht. Er sah gut aus. Und er war in einem Alter, in dem man eine Menge dafür tun musste. Offenbar hatte er die Zeit und das Geld dafür.
»Mein Name ist Cordt Sinter. Meine Kanzlei sitzt in Berlin und hat eine Dependance in Krakau. Ich bin im Besitz einer polnischen Zulassung. Sind Sie die Dolmetscherin?«
Sie wandte sich an den Pförtner. »Hat jemand einen Dolmetscher bestellt?«
»Für wen?«, fragte der.
»Für wen?«, erkundigte sich Zuzanna bei dem Neuankömmling auf Deutsch.
»Für Marek Zieliński.«
Zuzanna versteifte sich. Also hatte sie sich nicht verhört. Wie konnte das sein? Die Festnahme in Janekpolana war um halb neun am Morgen erfolgt. Jetzt war es früher Nachmittag. Sie war sich sicher, dass der alte Mann, den sie im Herrenhaus in desolatem Zustand angetroffen hatte, noch nicht einmal wusste, wie ein Handy aussah. Er war auch nicht in die Nähe eines Telefons gekommen. Eigentlich hatten sie eher Erste Hilfe geleistet, statt eine Befragung durchgeführt. Wie kam also dieser geschniegelte Anwalt zu der Information, dass Marek, ein bitterarmer alter Mann, in der Kommandantur von Zielona Góra saß und auf seine Einweisung in ein Krankenhaus wartete? Woher wusste dieser Lackaffe, dass es um eine Anklage ging? Wer hatte ihn informiert?
»Kommen Sie von Herrn Vernau?«
Ein Ausdruck von minimaler Irritation huschte über Sinters Züge. »Von wem?«
»Joachim Vernau aus Berlin. Er ist ebenfalls Anwalt.«
Er kann es nicht gewesen sein. Ich habe ihn eben erst informiert, und er schien sehr überrascht.
Sinter entspannte sich. »Nein. Nein, wirklich nicht. Ich kenne Herrn Vernau. Aber wir haben nichts miteinander zu tun. Arbeiten Sie auch für ihn?«
Nein, Trottel. In diesem Land üben Frauen nicht nur dienende Berufe aus.
»Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber Marek Zieliński hat bereits einen Anwalt.«
Mich. Erzähl mir jetzt nicht, dass du gerne und umsonst für alte Männer in der polnischen Provinz arbeitest.
Sinter sah sie an, als würde er sie in diesem Moment zum ersten Mal wahrnehmen. »Das muss ein Irrtum sein. Die Familie Zieliński wird schon lange von unserer Kanzlei vertreten.«
Ach, wirklich? Wo wart ihr denn, als Jacek in Poznań im Knast saß? Was ist so wichtig an dem Alten, dass du dich extra mit deinem dicken Wagen hierher in Bewegung gesetzt hast?
Ihr Lächeln gelang nur unter Anstrengung. »Welch ein Zufall. Ich habe für seinen Sohn gearbeitet.«
»Ah ja. Dann können wir beide ja gleich weitermachen. Es ist mir ein Vergnügen, Frau …«
»Makowska«, brachte sie einigermaßen freundlich hervor. »Darf ich fragen, wie Sie so
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