Versunkene Gräber - Roman
haben sie verschont – hab keine Sorge, der letzten Ruhe unserer Lieben wurde nichts angetan. Doch das Mausoleum und die Gruft der Jeschkes – möge der Herr mir verzeihen, aber ich habe nicht die Kraft … Ich bin allein, mein Lieb. Die Menschen haben andere Sorgen. Sie kümmert, woher sie ein Stück Brot bekommen, einen Sack Kartoffeln, ein Dach über dem Kopf. So schloss ich nur notdürftig die zertrümmerten Särge. Mögen andere sich der armen Seelen annehmen. Ich muss meine letzten Kräfte schonen. Es soll noch Wege über die Oder geben, so flüstert man auf dem Szaberplac . Sind doch seit Wochen alle Brücken gesperrt.
Noch immer treffen Gespanne ein, und Gutgläubige hoffen, mit ihrer Habe das andere Ufer der Oder zu erreichen. Weit gefehlt. Sie werden ausgeplündert und zu Sammelpunkten getrieben, und oft wird ihnen selbst das Letzte genommen. Ich habe gehört, dass Paul Löbe Schlesien in einem Viehwaggon verlassen musste. Gerhard Hauptmann ist schon vor drei Wochen in seinem Haus in Agnetendorf gestorben, und in der Stunde seines Todes soll der Mob unter dem Sterbezimmer Freudentänze aufgeführt haben … trotz sowjetischer und polnischer Schutzbriefe … nichts genutzt … Seine letzten Worte sollen gewesen sein: Bin ich noch in meinem Haus? Hauptmann! Der Literaturnobelpreisträger! Von den Russen wie den Amerikanern verehrt! Seit Wochen liegt sein Leib unbestattet in einem Zinksarg in seinem Arbeitszimmer. Er wollte in der Heimat begraben werden. Sein letzter Wunsch wird nicht in Erfüllung gehen. Aber den Sarg ziehen lassen wollen sie auch nicht …
So gibt es viele Schicksale, mein Lieb, wo Hass über Menschlichkeit triumphiert. Doch muss ein Volk, das gemeinsam dieses Grauen begann, das Grauen auch gemeinsam erdulden.
Also richtet sich in meinen schwarzen Nächten mein Zorn gegen mich selbst und gegen mein Volk. Aber mein Entsetzen ist ebenso groß, dass auch den Siegern alles Maß abhandengekommen ist. Breslauer Juden sind durch Grünberg gezogen, dem Schlimmsten entronnen. So sollte man meinen, dass diese armen Menschen, die dem Tode ins Auge sahen, bei den neuen Herren Gehör und Hilfe fänden. Ich habe Juden gesehen, geschunden und schikaniert von uns, geschunden und schikaniert von den Siegern … Nichts wird sie von dieser Schuld freisprechen, auch nicht die finstere Wirrnis dieser düsteren Tage. Doch wir, die Deutschen, haben die Hydra entfesselt. Die lemäische Schlange erhebt ihr fürchterliches Haupt nun über alle und reißt statt Vieh die Menschen … wahllos.
Oh Rosa, mein Lieb, welche Verbrechen hat unser Volk auf sich geladen! Was an diesen Höllenorten geschehen ist, in Treblinka, in Majdanek, in Auschwitz, ich kann es nicht beschreiben … Gott spuckt auf uns. Gott wendet sich ab. Gott wird uns vergessen, denn wir sind seiner Gnade nicht wert. Dennoch bete ich, für dich, mein Lieb, für die Kinder. Ich lege unsere Kinder in seine Hände, ich flehe um Gnade, denn sie sind die Schwächsten und Unschuldigsten. Ich fürchte mich, dass unsere große Schuld uns alle einholt und wir sie tragen müssen, wir Verdammten, bis ins siebte Glied. Ich fürchte mich vor der Rache derer, denen wir solches Leid angetan haben. Nie habe ich mich geschämt, ein Deutscher zu sein, denn nie tat ich jemandem ein Leid. Sogar im Stand machte ich mir in die Hosen, und kein Russe ist durch meine Hand gefallen. Mit den Polen waren wir stets in guter Nachbarschaft. Und dennoch, dennoch tragen wir alle das Schandmal.
So schleiche ich über den Szaberplac, ein Gespenst unter vielen. Ich halte die Ohren offen und höre hier und da noch Deutsch. Manchmal flüstere ich zurück von Geistern und Verlorenen, die sich auf dem Friedhof und im dunklen Berg von Johannishagen tummeln. Soll mir niemand zu nahe kommen. Sehe ich doch selbst aus wie ein Geist, ein Schatten meiner selbst …
Und keine Nachricht von dir, mein Lieb. Von den Kindern. Magda drängt mich, mein Versteck zu verlassen. Sie muss ihrem Zygfryd etwas erzählt haben, denn sie warnt mich, dass ich hier nicht mehr sicher sei. Ihr hübscher Pole ist im neuen Repatriierungsamt, und er sagt wohl, um Platz zu schaffen für all jene, die der Russe aus ihrer alten Heimat vertrieben hat, müssen die Deutschen gehen. Ausnahmslos. Wenn es sein muss, auch mit Gewalt. Die Armee selbst hat den Befehl gegeben, mit den Deutschen zu verfahren, so wie wir mit ihnen verfahren sind.
Ich frage mich, wie ich verfahren bin und welchen Tadel ich mir
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