Versunkene Gräber - Roman
Türen sahen aus, als ob sie seit Jahrzehnten auf ihre Weiterverarbeitung warteten. Eine war besonders schön und besonders zerstört. Zweiflügelig, hoch und schwer, mit reichen, geschnitzten Verzierungen aus dunkler Eiche. Man hatte sie mit Äxten malträtiert, um sie aufzubrechen. Die Bruchstellen und die tiefen Kerben waren nachgedunkelt, mehrere Einschusslöcher ließen darauf schließen, dass es Soldaten gewesen waren. Sie stand neben dem vorderen Fenster an die Wand gelehnt. Der verbogene Messingbeschlag des Schlosses war so lang wie ihr Unterarm. Sie konnte sehen, wo das Eisen tief ins Holz getrieben worden war, um dieses mächtige Schloss zu brechen. Den Spuren nach war es gelungen. Ob die Tür einmal zu einer Kirche gehört hatte? Der kleinen Kapelle vielleicht? Sie versuchte sich zu erinnern, doch sie hatte nicht darauf geachtet. Die Messingarbeit im Jugendstil war außergewöhnlich detailreich. Trotz der Zerstörung konnte sie Ranken und geschwungene florale Ornamente erkennen, sogar Weinreben, die sich nach oben hin zu einer Traube verjüngten. Darauf saß ein Vogel. Ein Rabe? Eine Krähe? Das Weinmuseum von Zielona Góra fiel ihr ein. Die Türen zu den Weinkellern großer Güter waren so gestaltet. Jedes Haus hatte sein eigenes Wappen. Wem dieses wohl gehört haben mochte? Ob Jacek Zieliński vorhatte, das zerstörte Schmuckstück zu restaurieren und eines Tages in seinen eigenen Weinkeller einzubauen?
Wieder dieses schabende Kratzen. Sie fuhr herum.
Der Boden in diesem Raum bestand nicht aus Holz, sondern aus alten Steinfliesen. Und über den Stein schabte Eisen. Das Geräusch kam von hinten und kroch wie eine böse Schlange in Zuzannas Ohren. Sie spürte, wie ihr eine Gänsehaut den Rücken hinunterrieselte. Es kam näher. Jemand benutzte die Türen als Sichtschutz und schlich sich wie durch einen makabren Irrgarten an sie heran.
»Kommen Sie raus!«
Oder doch lieber nicht? Sie war wie erstarrt. Wusste nicht, wo er sich versteckt hatte. War der Weg zu den anderen noch zu schaffen? Sie hielt den Atem an. Da. Er stand direkt hinter der schweren Eichentür, und irgendetwas sagte Zuzanna, dass es ein Mann war. Nur das dicke Holz trennte sie noch voneinander. Leise trat sie einen Schritt zurück.
»Ich tue Ihnen nichts. Ich will Ihnen helfen.«
Worte gegen Eisen. Wahnsinn gegen Vernunft. Würde er sich darauf einlassen? Es war die letzte Frage, die Zuzanna Makowska sich stellte, bevor er aus der Deckung kam.
Johannishagen im Juni 1945
Lieb Rosa, mein Lieb,
wie lange bin ich schon hier unten? Ich habe die Tage nicht gezählt, die Wochen, die Monate. Der Bart verfilzt, die Haare lang, die Kleider Lumpen. Wenigstens unterscheide ich mich so nicht von den vielen Heimatlosen, den Waldmenschen, den Wolfskindern, die einer ungewissen Zukunft harrend am Ufer der Oder gestrandet sind.
Auf dem Szaberplac , dem Markt in Grünberg, wo all das Plündergut seinen Besitzer wechselt, habe ich etwas gefunden, das mich sehr berührt hat – Leintücher, bestickt mit unserem Wappen. Es trieb mir die Tränen in die Augen. Sie waren, gestärkt und gebügelt und nach Kölnisch Wasser duftend, so wie du es liebtest, aufgelegt im Bade. Erinnerst du dich? Bilder tauchen auf, so sehnsuchtssüß: Friedel und Elli in der Wanne, du schrubbst ihnen den Sommerstaub von der Haut und hüllst sie ein in das weiße Tuch. Dann bringst du sie mir, stramm gewickelt wie Moses im Binsenkörbchen. Mein Herz jauchzte, wenn die kleinen rosigen Arme sich befreiten und sich um meinen Hals schlangen. Wie geht es meinen beiden Kleinen? Erzählst du ihnen vom Vater? Sag ihnen, dass ich lebe. Doch sag ihnen nicht, wie.
Hatte kein Geld, die Tücher zu kaufen. Noch drei Nadeln sind geblieben. Jene mit dem Saphir von Tante Sophie und Onkel Oskar, du hast sie zu unserer Verlobung bekommen, Großmutters Brusttuchspange und die kleine goldene, die, die ich dir aus Hirschberg mitgebracht habe, als ich die Fässer mit unserem Johannishagener Nickerchen begleitete. Ist es wirklich erst drei Jahre her? Während ich dies schreibe, beim flackernden Tanz der vorletzten Kerze, erscheint mir die Erinnerung wie eine Sage aus uralter Zeit. Was wird von uns bleiben, mein Lieb? Was wird von unserem Volke bleiben, das in den Untergang taumelte und die letzten Mahner noch erschlug?
Die Gehenkten sind verschwunden. Ob man sie begraben hat? Der Friedhof liegt verwaist und geplündert. Fremde Soldaten waren es, die Gold und Schätze suchten. Die kleinen Gräber
Weitere Kostenlose Bücher