Versunkene Inseln
glitt ich aus dem Bett, warf meine Sachen in eine Tasche und glitt zur Tür. Dann, einer Eingebung folgend, nahm ich Kai-Yus zugestöpseltes Fläschchen aus dem Speicher und verstaute es ebenfalls in der Tasche. Ich verließ die Wohnung, eilte durch die frühmorgendliche Stille der Kuppel zur Station und stieg in einen Zug nach Luna. Während der nächsten neunzig Minuten war mein Geist genauso leer und öde wie die Landschaft außerhalb der Röhre.
Tief im Innern meines Körpers rührte sich zum erstenmal ein leichter Schmerz.
38
In jener Nacht konnte ich keinen Schlaf finden. Ich wurde geplagt von dem trüben Glanz in Pauls Augen, von plötzlich aufflammenden, alptraumhaften Bildern der Vergangenheit, an die ich mich wider Willen erinnerte, von drohendem Unheil, das an zukünftigen Schreckensgestaden auf mich lauerte. Ich verbrachte die Nacht zusammengekauert in dem leeren Minarett, in die orangefarbene Decke gehüllt. Rastlos beobachtete ich die fernen Sterne, und ich zögerte immer wieder, in die Kabine zurückzukehren, wo mich eine frische, schmerzliche Erinnerung erwartete.
Während dieser Nacht flammte wieder der Schmerz in meinem Rücken auf, doch ich wischte die Pein unduldsam fort und fühlte mich zu elend, um mich über diesen leicht errungenen Sieg über meinen Körper zu freuen. Kurz vor der Morgendämmerung gab ich jeden Gedanken an Schlaf auf, ließ die orangefarbene Decke einfach auf dem Boden des Minaretts liegen und schlich hinab zur Kombüse, um mir ein Frühstück zu machen. Trübes Licht tropfte durch die Küchentür, und ich sah Jenny, die allein am Arbeitstisch saß, über eine Tasse Kaffee gebeugt. Als ich eintrat, hob sie leicht überrascht den Kopf und ließ die Hände sinken, und der Blick, den sie mir zuwarf, drückte beinahe Erleichterung aus.
„Morgen“, sagte ich. „Kann ich auch eine Tasse Kaffee haben?“
Sie nickte müde, senkte den Kopf wieder und verbarg das Gesicht hinter den Händen. Ihr schwarzes Haar war durcheinander und zerzaust, und unter den Augen lagen dunkle Ringe. Ich schenkte mir eine Tasse ein und suchte in der Speisekammer nach einem Brötchen. Nachdem ich eins gefunden hatte, ging ich zur anderen Seite der Kombüse und schob es in den Backofen. Als ich an Jenny vorbeikam, hob sie ihre Tasse.
„Kann ich bitte noch etwas haben?“
Ich schenkte ihre Tasse wieder voll und stellte sie vor ihr auf den Tisch, bevor ich zum Backofen zurückkehrte. Ich hatte nicht lange bleiben wollen, doch es war schwierig, ihren Kummer einfach zu ignorieren – zumal ich in meinem eigenen Elend gefangen war. Anstatt Kaffee und Brötchen zu nehmen und damit ins Minarett zurückzukehren, plazierte ich beides auf dem Tisch, zog mir einen Hocker heran und nahm ihr gegenüber Platz.
„Konnten Sie nicht schlafen?“ fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf, seufzte dann und massierte sich mit steifen Fingern den Nacken. „Tobias ist ganz aus dem Häuschen. Er hat sich gestern abend in seiner Kabine eingeschlossen und will nicht, daß ich in seine Nähe komme.“
Ich nippte an dem Kaffee und beobachtete sie.
„Als Sie gestern zurückkamen, schien er fast den Verstand zu verlieren“, sagte sie, und ich schüttelte den Kopf.
„Darüber will ich nichts hören, Jenny. Bitte. Ich habe bereits genug Probleme.“
„Das sagen Sie immer“, gab sie verbittert zurück. „Sie haben Probleme, er hat Probleme, alle haben Probleme. Und keiner will dem anderen helfen.“
„Ich bin nicht Tobias’ Amme.“
„Tia, bitte, können Sie nicht versuchen zu verstehen? Er ist nicht das, was Sie glauben. Er hat gute Gründe für sein Verhalten, ich meine, er …“ Ihre Hände gestikulierten und versuchten vergeblich, die richtigen Worte zu
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