Versunkene Inseln
Generator zu, hob die Arme und umfaßte Benitos Taille. Ich zögerte nur einen Augenblick, dann packte ich ihn ganz fest, zog ihn vorsichtig zum Boden herab und drehte ihn um. Seine narbigen Lippen waren hart aufeinandergepreßt, und sein Gesicht wies überhaupt keine Verletzung auf. Doch vorn auf seinem Hemd war ein deutliches, scharf umrissenes Loch zu sehen. Als ich den Körper auf den Boden legte, quoll eine hellrote, schwammige Masse durch die Öffnung in der Brust, und der Buckel schrumpfte zusammen und gab dabei ein leises, matschendes Geräusch von sich.
Greville, Harkness und Hart hinter mir flohen aus dem Raum, und Paul erbrach sich.
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Erinnerst du dich an Duval? Duval fängt Schmetterlinge in Südafrika, Maya modelliert Akustikskulpturen auf dem Mars, George ist gerade nach Moskau abgereist, um dort Arzt zu werden. Fuad hat gelernt, Raumfähren zu fliegen, Valentin ist noch immer in Paris und trinkt, Tai-Li wird Viktors Baby aufziehen, Benito ist tot.
Erinnerst du dich an Helene? Helene hat ihre Dissertation über Relativität abgeschlossen, Pyotr tanzt Ballett, Angelique fährt Sandkatzen auf dem Mars. Mabooi hat ein neues Orbitalhotel entworfen, Blair hat sich verliebt, Helmut wird in Athen Opern singen, Paul ist an Bord der Ilium und taucht, Benito ist tot.
Erinnerst du dich an Lars? Lars webt Kleider in London, Arieh ist gerade in sein Dorf in den Pyrenäen zurückgekehrt, Joanna will sich um eine Arbeit in den Observatorien bewerben. Satyajit spielt Ätherophon für die Symphonia Roma, Paulita beginnt damit, in Sevilla zu unterrichten, Katrina ist noch immer unentschlossen, Aureliano fertigt Möbel, Ian segelt über den Pazifik, Kyoshi macht Käse, Carina verhandelt ihren Fall vor dem Gerichtshof in Bern, Axel ist Vater geworden, Sze-Ya soll auf Deimos nach Gold schürfen.
Benito ist tot.
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Es ist nicht einfach, in Luna unterzutauchen. Trotz ihrer Komplexität ist es eine kleine Stadt, in der beinahe jeder jeden kennt. Und wenn sich die Bewohner einmal ein Gesicht eingeprägt haben, dann vergessen sie es nicht mehr. Ich stieg in der Bibliotheksstation aus, blieb vor den Gleitbändern stehen und überlegte, wohin ich gehen und was ich tun sollte. Als ich das Ticket nach Luna gekauft hatte, war mein Ortswechsel ganz automatisch vom Komsystem aufgezeichnet worden. Die Daten, die ich durch den Verbrauch meiner Lebensmittel- und Wasserzuweisungen, durch die Benutzung der Transporteinrichtungen hinterließ, würden meinen Weg genau kennzeichnen. Und ich hatte schreckliche Angst, daß Greg oder einer seiner Freunde hierherkam, um mich zu suchen, daß er mich dorthin zurückzubringen versuchte, wohin ich mich so sehr sehnte. Wenn Greg zu mir käme, sagte: „Komm mit, es spielt keine Rolle; flieg mit uns hinaus“, dann würde ich nicht zögern. Dann vergäße ich die vielgestalte Qual, die mein Mitkommen nach sich zöge. Dann vergäße ich, wie ich in zwanzig oder fünfzig Jahren aussähe. Dann vergäße ich, daß, wenn ich ihn tatsächlich so sehr liebte, wie das der Fall war, diese Liebe auch groß genug sein mußte, um ihm das zu ersparen, was aus mir werden würde.
Ich schulterte meine Tasche und machte mich zu Fuß von der Station aus auf den Weg. Ich benutzte die Gleitbänder nur, wenn sich mir kein anderer Weg bot, und ich wanderte ziellos durch die Stadt. Am Kuppelhimmel wich die weiche Schwärze der Kunstnacht allmählich dem rosaroten und goldenen Schimmer der Morgendämmerung. Nach und nach begannen sich die Straßen mit Menschen zu füllen. Zuerst kamen jene, deren Arbeit ein frühes Aufstehen erforderte, dann die Mehrheit der Angestellten. Sie drängten sich auf die Gleitbänder und
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