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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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Ich atmete wieder gleichmäßig, als ich diese neue Komposition beobachtete und sich die beiden Farben in harmonischer Abstimmung zueinander bewegten. Ich tastete mich in meinen Körper hinein und spürte, wie das Herz schlug und Blut durch die Adern pumpte, wie sich meine Lunge ausdehnte und wieder zusammenzog, das Fauchen und Rauschen der Luft, die sie durchwehte und dort mein Blut mit Sauerstoff anreicherte … eine vertraute und angenehme Empfindung.
    Eine Andeutung von Orange tanzte flink über den Schirm, und ich erkannte sofort, worum es sich handelte: Alphawellen. Die konnte ich ebenfalls kontrollieren. Eine Verschmelzung mit Betawellen, eine Bewegung inmitten meiner Gedanken. Die Welt schrumpfte zusammen, bis sie nur noch den Bildschirm und meinen Körper umfaßte. Immer mehr Farben durch wogten den einen Faktor des reduzierten Universums, immer neue Empfindungen verknüpften und verflochten sich in dem anderen. Dies hier, so stellte ich fest, war angenehm und erquicklich. Zumindest in diesem Stadium wurde mein alternder und verfallender Körper dazu veranlaßt, hübsche und interessante Bilder zu meiner Unterhaltung zu formen. Und ich tauchte tiefer in mein Selbst.
    Welch prächtige Verschwendung! All die fast mystischen Anordnungen und Wechselwirkungssysteme liefen auf Selbstzerstörung hinaus. Das Endresultat dieser komplizierten physischen Mathematik war der Tod, und die Gleichung verhinderte die Berechnung des zersetzenden Faktors, indem sie sich selbst vorzeitig auflöste. Dieses anmutige Tropfen dort ist nichts anderes als die langsame Wanderung von Kalzium aus den Knochen ins Blut. Dieses winzige, herrlich funkelnde Rinnsal, das meine Knochen erweichen läßt, gibt sich ein schimmerndes Stelldichein mit dem jährlichen Verlust von einem Gramm Gehirnmasse. Ein seltsames Wunder, eine fleißige und wunderschöne Fremdartigkeit, die sich auf irgendeine boshafte und hinterlistige Weise in mein Selbst hineingestohlen hatte und darauf bestand, mich altern zu lassen, die auf meinem Tod beharrte. Der Qualbereiter. Meine Innenwelt war infiltriert von Plastikteilen und unterwandert von störrischer Sterblichkeit. Und doch war sie so herrlich anzuschauen, voller Anmut und Grazie und Eleganz. Ich tastete mich zum pulsierenden Zauber meines Herzens vor und berührte es.
    Berührte es. Wandelte es. Beeinflußte seine Bewegung. Veränderte seinen Rhythmus.
    Mit meinem … Verstand? Bewußtsein? Geist? Mit der Seele?
    Erneut näherte ich mich dem Herzen, spürte sein gleichmäßiges Schlagen, umfaßte es. Verlangsamte es, beschleunigte es dann wieder. Verwunderung. Erstaunen. Ich keuchte, und in meiner Lunge tanzten und summten Moleküle. Sauerstoff ergoß sich einem Sturzbach gleich in meinen Blutkreislauf. Ich staute den Strom, bis er nur noch ein dünnes Rinnsal war, ließ ihn dann wieder anschwellen. Ich spielte mit dem trägen Rumoren meiner Eingeweide, alberte mit den winzigen Ventilen und Tropfleitungen meiner Drüsen herum, spürte, wie Gefühle meine Gedanken durchfluteten, analysierte ihre Ursachen, isolierte die genau abgezielten Wogen der Hormone und löste sie auf. Ich ließ die Fingernägel lang wachsen, schälte etwas Haut von den Armen, füllte meine Gebärmutter außerhalb der Regel mit Blut und schwemmte es dann wieder in die Venen hinein. Ich berührte das Gehirn, und kleine Flammen züngelten kalt und funkelnd zwischen meinen Gedanken. Längst vergessene Szenenbilder und Düfte und Geschmackserinnerungen rasten durch meinen Geist, verwoben sich miteinander, prallten gegen die Grenzen meines Bewußtseins und fluteten zurück. Ich vernahm das Seufzen des Meeres, das Rauschen weit entfernter Wellen, das leise Flüstern der Elektrizität, die durch die Schaltkreise des Servos floß, durch die winzigen Widerstände und Restverstärker und Extrapolationsdioden in den elektronischen Gedärmen des Roboters. Ich fühlte, wie sich unter mir die Erde drehte und die Zugkraft der Gezeiten an meiner Körperflüssigkeit zerrte. Und plötzlich war ich nicht mehr die Andersartige, die Zielscheibe des makabren Streiches, den mir die Sterblichkeit spielte. Ich wogte als ein Teil des Ozeans, tauchte tief hinein, verschmolz mit der Erde, wurde eins mit dem Wechsel der Jahreszeiten und den Phasen des Mondes. Ich, mein Selbst, Tia, Körper und Geist, der Schöpfer und das Erschaffene, der Wein und seine Flasche, der Tempel und das Portal. Schönheit. Freude. Frieden. Lachen.
    Als wir die Reise des Entzückens beendeten

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