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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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Un­ter­ta­nen zu be­schimp­fen. Er hielt ih­nen Pre­dig­ten aus selbst­ver­faß­ten re­li­gi­ösen Bü­chern, schuf ein to­ta­les phi­lo­so­phi­sches Durch­ein­an­der, dem sei­ne Jün­ger geis­tes­ab­we­send lausch­ten, wäh­rend sie im Staub hock­ten und ih­ren Schorf oder den des Nach­barn be­tas­te­ten. Sal und ei­ni­ge an­de­re brach­ten ih­nen Le­bens­mit­tel aus dem Dorf, schlepp­ten sie ins Hos­pi­tal, wenn es nö­tig war, und be­gru­ben die Ge­stor­be­nen. Der Fa­na­ti­ker schi­en von all dem nie et­was zu ver­mer­ken.
    Das Hos­pi­tal war noch weitaus we­ni­ger zu er­tra­gen als das Dorf, und nach­dem ich es ein­mal mit Sal be­sucht hat­te, wei­ger­te ich mich, noch­mals hin­zu­ge­hen. Es schi­en nicht so sehr ein Ort der Re­kon­va­les­zenz zu sein als viel­mehr ein Schmelz­tie­gel aus War­ten, Krank­hei­ten und Trüb­sinn. Die Ärz­te wa­ren al­le von Bern hier­her ver­setzt: Für sie kam die Ab­kom­man­die­rung nach Quel­len der Ver­damm­nis ei­ner Stra­fe gleich, und sie mach­ten kei­nen Hehl aus ih­rem Ekel. Ei­ner von ih­nen nahm mich zur Sei­te und bot mir ei­ne Fla­sche Bier da­für an, wenn ich mit ihm ins Bett stie­ge. Sal brach ihm den Arm, und als er am nächs­ten Tag fort­ging, schrie er noch im­mer. Wahr­schein­lich glaub­te er, ih­re Ent­stel­lung sei an­ste­ckend.
    Die Kin­der­ab­tei­lung war am schlimms­ten. An je­nem Tag hat­ten Sal und ich vier Neu­an­kömm­lin­ge auf­ge­le­sen: einen Mann, der in ei­nem Durch­ein­an­der aus Angst­zu­stän­den und De­pres­sio­nen ge­fan­gen war, ei­ne Frau mit dem trü­ben Glanz des Wahn­sinns in ih­ren Au­gen und zwei Kin­der. Wir brach­ten den de­pres­si­ven Mann zu ei­ner Her­ber­ge und die ver­rück­te Frau zur Ge­mein­de au­ßer­halb der Ort­schaft, wo sie so­fort in tie­fe Apa­thie ver­sank. Ich saß in dem her­un­ter­ge­kom­me­nen Hüp­fer und hielt die Kin­der in den Ar­men. Der Jun­ge schlief mit an mei­ne Schul­ter ge­lehn­tem Kopf ein. Das Mäd­chen brach­te mir zu­nächst we­ni­ger Ver­trau­en ent­ge­gen, doch dann schließ­lich be­rühr­ten sei­ne Lip­pen mei­nen Nacken, und es schlief eben­falls ein. Ich un­ter­drück­te ein Schau­dern: Di­cke, ro­sa­far­be­ne Nar­ben zo­gen sich über ih­re Ge­sich­ter, runz­lig und ab­scheu­lich. Das rech­te Au­ge des Mäd­chens war im Nar­ben­grind ver­schwun­den. Die Hän­de des Jun­gen wa­ren für im­mer zu­sam­men­ge­preßt.
    „Ver­bren­nun­gen“, sag­te Sal nüch­tern, wäh­rend sie den Hüpf er in Rich­tung Hos­pi­tal lenk­te. „Wahr­schein­lich zu um­fas­send, als daß man sie ganz hät­te hei­len kön­nen.“
    „Aber wenn man sich doch nur ein we­nig mehr um sie ge­küm­mert hät­te, ge­nug; um die Hän­de in Ord­nung zu brin­gen oder ein neu­es Au­ge zu im­plan­tie­ren …“
    Sal zuck­te mit den Ach­seln. „Sie le­ben. Und das ist al­les, was man von den El­tern ver­langt: Sie müs­sen da­für sor­gen, daß ih­re Kin­der am Le­ben blei­ben. Wahr­schein­lich fürch­te­ten sie sich so­gar vor dem Er­geb­nis ei­ner ent­spre­chen­den Ope­ra­ti­on.“ Sie warf den schla­fen­den Kin­dern einen ra­schen Blick zu. „Ich kann es ih­nen nicht ver­den­ken.“
    „Sie ha­ben sie hier­her ge­schickt“, sag­te ich, und trotz der grel­len Hit­ze lief es mir kalt über den Rücken. Sal mach­te sich nicht die Mü­he, mir zu ant­wor­ten. Als wir vor dem dunklen Hos­pi­tal lan­de­ten, hielt ich die Kin­der ganz fest an mich ge­preßt.
    „Laß sie uns mit nach Hau­se neh­men“, sag­te ich. „Ich küm­me­re mich um sie. Es wird kei­ne Be­las­tung für dich sein; ich be­zah­le für sie. Je­mand soll­te sie lieb­ha­ben, auch wenn nur wir es sind.“
    Doch Sal schüt­tel­te den Kopf und nahm mir die Kin­der vor­sich­tig aus den Ar­men.
    „Sie wer­den ster­ben“, sag­te sie. „Und hier sind sie da­bei we­nigs­tens nicht al­lein.“
    Als ich die Kin­der­ab­tei­lung sah, be­griff ich, was sie mein­te. Es gab Räu­me zum Schla­fen und zum Spie­len, Un­ter­richts­zim­mer und Gär­ten und Hö­fe, Spiel­zeug und Bü­cher, reich­hal­ti­ges Es­sen. Ge­nug, um sie am Le­ben zu er­hal­ten, ge­nug, um ihr In­ter­es­se zu we­cken und sie zu bil­den. Die

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