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Versunkene Staedte

Versunkene Staedte

Titel: Versunkene Staedte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Bacigalupi
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uns geführt. Wenn du seine Gesellschaft suchst, wird es ein einziges Blutbad geben. Bitte, Mahlia, wir haben wegen dieser Kreatur schon unser Haus verloren. Willst du jetzt auch noch dein Leben verlieren? «
    Seine Worte ließen sie zögern.
    Mahfouz schien ihre Unsicherheit zu spüren und sagte eindringlich: » Aus Gewalt entsteht nur noch mehr Gewalt, Mahlia. «
    Mahlia betrachtete das sterbende Ungeheuer– die Bissverletzungen, das Blut, die stinkenden, eiternden Wunden. Der Aasgeruch in seinem Atem. War sie verrückt? Vielleicht war der Halbmensch genau wie die Kojwölfe. Immer bösartig, selbst wenn man sie von klein auf heranzog.
    Und wenn nicht? Er hatte Mouse nicht getötet, obwohl er die Chance dazu gehabt hatte. Die Soldaten hätten keine Sekunde gezögert, aber der Halbmensch hatte Mouse gehen lassen. Das allein zählte.
    Mahlia legte ein Ohr an die Haut des Ungetüms und lauschte nach seinem Herzschlag. Es dauerte ein bisschen, bis sie ihn hörte. Sein Herz schlug langsam und schwer. Es musste so groß sein wie ihr Kopf. Unfassbar groß. Unfassbar gefährlich.
    Sie dachte an Soa: Kojwolfaugen im Gesicht eines jungen Mannes. Und an den Leutnant, der ihr ohne zu zögern die Luft abgedrückt hatte, als Mahfouz seiner Aufforderung nicht schnell genug nachgekommen war. Die Soldaten waren gefährlich, und Mahlia hatte nichts gegen sie ausrichten können.
    Das Herz des Halbmenschen schlug an ihrem Ohr.
    Unfassbar groß.
    Sie begann, die Wunden zu untersuchen. Wie siehst du aus, wenn du gesund bist? Wie kräftig bist du?
    Der Arzt schien endlich begriffen zu haben, dass sie nicht auf ihn hören würde. Er schob sich an den herabhängenden Wurzeln des Banyanbaumes vorbei und watete auf sie zu.
    Â» Denk noch mal nach, Mahlia. Das ist nicht der Weg, den du gehen willst. Nach allem, was passiert ist, bist du noch ganz durcheinander. « Er näherte sich der Insel. » Du musst scharf nachdenken. «
    Etwas an der Haltung des Arztes ließ ihre Alarmglocken klingeln. Er kam zu schnell auf sie zu und hatte dabei etwas Raubtierhaftes an sich. Mahlia hätte nicht sagen können, was genau sie gewarnt hatte, aber sie zog ihr Messer genau in dem Moment, als der Arzt sich auf die Medikamente stürzen wollte .
    Sie stach mit dem Messer nach ihm. Mit einem Keuchen sprang er zurück. Mahlia kroch rückwärts und lehnte sich gegen den sterbenden Halbmenschen. Die Medikamente hielt sie mit dem Armstumpf fest an die Brust gedrückt, während sie mit der Linken das Messer zwischen sich und dem Arzt hielt.
    Â» Zurück oder ich schwöre, ich steche zu. «
    Die Augen des Arztes weiteten sich angesichts der funkelnden Klinge. Grauen stand ihm ins Gesicht geschrieben.
    Â» Mahlia… «
    Sie fühlte sich furchtbar schlecht. Im Geist hörte sie die Worte ihres Vaters– ein Tier bist du, genau wie deine Mutter –, aber sie senkte das Messer nicht. » Kommen Sie nicht näher « , warnte sie.
    Mouse starrte sie an. » Verdammt, Mahlia. Und ich dachte immer, ich sei der Verrückte von uns beiden. «
    Mahlia wollte sich entschuldigen, sagen, dass es ihr leidtäte, und alles zurücknehmen, aber das Messer stand zwischen ihnen. Und der Arzt sah sie an, als sei sie einer von den Kindersoldaten, ein Ungeheuer ohne Moral.
    Mit Übelkeit erregender Gewissheit wurde ihr klar, dass es kein Zurück mehr gab, selbst wenn sie das Messer weglegte und sich entschuldigte. Sie und der Arzt standen jetzt auf verschiedenen Seiten. Dass sie das Messer gezogen hatte, hatte alles verändert.
    Der Arzt wich zurück. » Schon gut « , sagte er besänftigend. » Schon gut. Lass uns nichts überstürzen. «
    Mit abwehrbereit erhobenen Händen setzte er sich auf den Boden. Er wirkte plötzlich sehr alt. Alt und erschöpft. Mahlia verspürte einen schuldbewussten Stich. So bedankte sie sich also bei dem Mann, der sie gerettet hatte. Niemand sonst im Dorf hatte auch nur einen Finger gerührt, aber Mahfouz hatte sich für sie eingesetzt. Sie wollte weinen, doch es kamen keine Tränen.
    Â» Sie können mir auch gleich sagen, welches Medikament das richtige ist. Ich werde sie ihm sowieso geben. «
    Â» Diese Medikamente gehören dir nicht, Mahlia. Es gibt Menschen, die sie brauchen. Gute, unschuldige Menschen. Denen kannst du immer noch helfen « , flehte der Arzt sie an. » Du musst das nicht machen.

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