Verteidigung
Scheidung beschäftigte sie noch sehr, in erster Linie weil sie es genoss, sich in ihrem Unglück zu suhlen. Sie hatte einen schlecht bezahlten Job, jede Menge an den Haaren herbeigezogene emotionale Probleme, die sie mit Pillen bekämpfte, und ihre Lieblingstherapie war Shopping mit ihrer Mutter rund um die Uhr, auf Oscars Kosten.
»Ich habe die beiden satt«, sagte Oscar im Brustton der Überzeugung, als er die Ausfahrt nach Kankakee passierte. »Ich bin zweiundsechzig, gesund, mit einer Lebenserwartung von noch einmal dreiundzwanzig Jahren. Ich habe ein Recht auf Glück. Stimmt’s?«
Selbstverständlich hatte er das.
Aber wie sollte er Paula das beibringen? Das war die Frage. Wie die Bombe platzen lassen? Er dachte an ehemalige Mandanten, an all die Scheidungen, die er im Laufe der Jahre abgewickelt hatte. Die extremste Variante war die, bei der die Ehefrau ihren Mann mit einer anderen im Bett erwischte. Oscar erinnerte sich an drei, vielleicht vier Fälle, bei denen das passiert war. Das war tatsächlich unmissverständlich. Schatz, unsere Ehe ist am Ende, ich habe eine Neue. Am anderen Ende des Spektrums stand die Scheidung eines Paars, das nie stritt, eine Trennung oder Scheidung nie auch nur erwähnt hatte. Die beiden hatten soeben ihren dreißigsten Hochzeitstag gefeiert und sich für den Ruhestand ein Haus am See gekauft. Als der Mann von einer Geschäftsreise zurückkam, war das Haus verlassen. Die Kleidung seiner Frau und die Hälfte der Einrichtung waren verschwunden. Sie war ausgezogen und sagte, sie habe ihn nie geliebt. Sie heiratete bald wieder, und er beging Selbstmord.
Einen Streit mit Paula vom Zaun zu brechen war kein Problem: Sie zankte und stänkerte für ihr Leben gern. Vielleicht sollte er noch mehr trinken, ordentlich beduselt nach Hause kommen und darauf warten, dass sie sich über seine Sauferei aufregte, seinerseits auf ihren endlosen Shoppingtouren herumhacken und immer mehr Öl ins Feuer gießen, bis sie sich beide anbrüllten. Dann konnte er beleidigt seine Sachen packen und aus dem Haus stürmen.
Oscar hatte nie den Mut aufgebracht zu gehen. Sooft er auch einen Grund dafür gehabt hätte, er hatte sich immer ins Gästezimmer verzogen, die Tür abgeschlossen und allein geschlafen.
In der Nähe der Universitätsstadt Champaign hatte er sich einen Plan zurechtgelegt. Warum einen Streit vom Zaun brechen, damit er ihr die Schuld geben konnte? Er wollte raus aus der Ehe, dazu musste er stehen. »Ich bin unglücklich, Paula, und zwar schon seit Jahren. Du bestimmt auch, sonst würdest du nicht die ganze Zeit nörgeln und streiten. Ich gehe. Du kannst das Haus und die Einrichtung haben. Meine Kleidung nehme ich mit. Leb wohl.« Er wendete und fuhr zurück nach Norden.
Letztendlich war es ziemlich einfach, und Paula steckte es ganz gut weg. Sie weinte ein bisschen und warf ihm ein paar Schimpfwörter an den Kopf, aber als Oscar sich nicht provozieren ließ, sperrte sie sich im Keller ein und weigerte sich herauszukommen. Oscar packte seine Kleidung und ein paar persönliche Gegenstände ins Auto und brauste erleichtert davon. Mit jeder Straße, die er hinter sich ließ, fühlte er sich besser.
Zweiundsechzig, zum ersten Mal seit einer Ewigkeit ungebunden und auf dem besten Weg, reich zu werden, sofern er Wally vertrauen konnte, was er im Augenblick tat. Tatsächlich setzte er ein unglaubliches Vertrauen in seinen Juniorpartner.
Oscar wusste nicht recht, wohin, aber er hatte nicht die Absicht, die Nacht bei Wally zu verbringen. Den sah er schon genug in der Kanzlei. Außerdem konnte jederzeit das Betthäschen vorbeischauen, und die Frau war ihm ein Gräuel. Eine Stunde lang fuhr er durch die Gegend, dann checkte er in einem Hotel in Flughafennähe ein. Er zog einen Stuhl ans Fenster und beobachtete die in der Ferne startenden und landenden Maschinen. Eines Tages würde er selbst in angenehmer weiblicher Begleitung durch die Weltgeschichte jetten – von einer Insel zur anderen, von Paris nach Neuseeland.
Er fühlte sich jetzt schon zwanzig Jahre jünger. Er war auf dem richtigen Weg.
28
Wie immer kam Rochelle am nächsten Morgen pünktlich um halb acht Uhr ins Büro, um ihren Joghurt und ihre Zeitung zu genießen, solange sie mit AJ allein war – doch AJ spielte bereits mit jemandem. Mr. Finley war da und wirkte höchst aufgeräumt. Rochelle konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal vor ihr in der Kanzlei erschienen war.
»Guten Morgen, Ms. Gibson«, sagte er mit
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