Verteidigung
hielt einen vollgestopften Aktenkoffer aus schwarzem Leder in der Hand, als hätte er die ganze Nacht durchgearbeitet. Außerdem hatte er seinen Schirm dabei, wie immer – egal, was für Wetter herrschte oder angesagt war. Oscar war alles andere als ein erfolgreicher, gut verdienender Anwalt, doch er konnte wenigstens so tun, als ob. Dunkle Mäntel, dunkle Anzüge, weiße Hemden und Seidenkrawatten. Seine Frau ging für ihn einkaufen und bestand darauf, dass er wie ein angesehener Anwalt aussah. Wally dagegen trug das, was er gerade in die Finger bekam.
»Morgen«, sagte Oscar schroff in die Richtung von Ms. Gibsons Schreibtisch.
»Guten Morgen«, erwiderte sie.
»Steht was Interessantes in der Zeitung?« Oscar interessierte sich nicht für Spielergebnisse, Börsenberichte oder die neuesten Nachrichten aus dem Nahen Osten.
»In einer Fabrik in Palos Heights wurde ein Gabelstaplerfahrer zerquetscht«, antwortete sie prompt. Wenn sie keinen Unfall fand, um ihm den Morgen zu versüßen, würde seine schlechte Laune nur noch schlimmer werden.
»Gefällt mir«, sagte er. »Ist er tot?«
»Noch nicht.«
»Großartig. Das gibt eine Menge Schmerzensgeld. Machen Sie eine Notiz. Ich kümmere mich später darum.«
Ms. Gibson nickte, als wäre der bedauernswerte Mann bereits ihr Mandant. Das war er natürlich nicht. Und er würde es auch nicht werden. Die Anwälte von Finley & Figg kamen nur selten als Erste an einen Unfallort. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde die Frau des Gabelstaplerfahrers bereits von aggressiveren Anwälten verfolgt, von denen einige dafür bekannt waren, dass sie die Familien von Geschädigten mit Bargeld und anderen Anreizen köderten.
Beflügelt von diesen guten Nachrichten, trat Oscar an den Tisch. »Guten Morgen.«
»Morgen, Oscar«, antwortete Wally.
»Hat es einer deiner Mandanten in die Traueranzeigen geschafft?«
»So weit bin ich noch nicht.«
»Du solltest mit den Traueranzeigen anfangen.«
»Danke, Oscar. Hast du noch mehr Tipps, wie man eine Zeitung lesen sollte?«
Oscar war bereits auf dem Weg in sein Büro. »Was steht für heute in meinem Terminkalender?«, fragte er über die Schulter.
»Das Übliche. Scheidungen und Betrunkene.«
»Scheidungen und Betrunkene«, murmelte Oscar vor sich hin, während er sein Büro betrat. »Ich brauche unbedingt einen schönen Unfall.« Er hängte seinen Mantel an die Rückseite der Tür, steckte den Schirm in den Ständer neben seinem Schreibtisch und fing an, seinen Aktenkoffer auszupacken.
Es dauerte nicht lange, bis Wally mit der Zeitung in der Hand neben ihm stand. »Sagt dir der Name Chester Marino was?«, fragte er. »Traueranzeige. Siebenundfünfzig, Frau, Kinder, Enkel, Todesursache nicht genannt.«
Oscar kratzte sich den kurz geschnittenen grauen Schopf und sagte: »Vielleicht. Könnte ein Testament gewesen sein.«
»Er ist bei Van Easel & Sons. Aufbahrung heute Abend, Beerdigung morgen. Ich werde hingehen und mich ein bisschen umhören. Willst du Blumen schicken, wenn er einer von unseren Mandanten ist?«
»Erst wenn wir wissen, um wie viel es bei dem Nachlass geht.«
»Guter Einwand.« Wally hielt immer noch die Zeitung in der Hand. »Die Sache mit dem Taser läuft aus dem Ruder. In Joliet werden ein paar Polizisten beschuldigt, einen siebzigjährigen Mann getasert zu haben. Er ist in einen Walmart gegangen, um ein Schnupfenmittel für sein Enkelkind zu besorgen. Der Apotheker glaubte, der Alte würde das Zeug für ein Meth-Labor kaufen, daher hat er als guter Staatsbürger die Polizei gerufen. Die Polizisten hatten gerade neue Taser bekommen, also halten fünf von diesen Schwachköpfen den alten Mann auf dem Parkplatz an und brennen ihm mit ihren Tasern eins drauf.«
»Dann beschäftigen wir uns jetzt also wieder mit Taser-Mandaten?«
»Du hast es erfasst. Das sind gute Fälle, Oscar. Wir müssen uns unbedingt ein paar davon besorgen.«
Oscar setzte sich und seufzte laut. »Diese Woche sind es Taser-Waffen. Letzte Woche war es Windelausschlag – du wolltest den Hersteller von Pampers verklagen, weil ein paar Tausend Babys Windelausschlag haben. Letzten Monat waren es giftige Gipskartonplatten.«
»In der Sammelklage in Sachen Gipskartonplatten wurden bereits vier Milliarden Dollar gezahlt.«
»Ja, aber wir haben keinen Cent davon gesehen.«
»Genau das meine ich, Oscar. Mit den Sammelklagen müssen wir jetzt endlich mal Ernst machen. Da ist eine Menge Geld zu holen. Anwaltshonorare in Millionenhöhe, gezahlt von
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