Verteidigung
Anwälte unter Druck setzen ließ. Rochelle wusste es natürlich, da die Buchführung zu ihren Aufgaben gehörte und sie sowieso fast alles wusste, aber er wollte lieber nicht fragen. Wenn er fragte, würde es nicht lange dauern, bis sie anfingen, sich über Rechnungen und ausstehende Honorarzahlungen und ihre schlechte Finanzlage im Allgemeinen zu streiten, was in eine heftige Diskussion über die Gesamtstrategie der Kanzlei, deren Zukunft und die Unzulänglichkeiten der beiden Partner ausarten konnte.
Das wollte keiner von beiden.
Abner war sehr stolz auf seine Bloody Marys. Er benutzte genau bemessene Mengen Tomatensaft, Wodka, Meerrettich, Zitrone, Limone, Worcestersoße, Pfeffer, Tabasco und Salz. Und immer gab er zwei grüne Oliven ins Glas und dekorierte mit einem Stück Stangensellerie.
David hatte schon lange nicht mehr so ein gutes Frühstück gehabt. Nach zwei von Abners Meisterwerken, die er schnell hintereinander konsumierte, grinste er wie ein Honigkuchenpferd und war stolz auf seine Entscheidung, alles hinzuwerfen. Der Betrunkene am anderen Ende der Theke schnarchte friedlich. Außer ihm und David waren keine anderen Gäste da. Abner ging seinen Aufgaben hinter der Theke nach: Er spülte und trocknete Cocktailgläser ab, überprüfte die Spirituosenvorräte und polierte die Zapfhähne, während er sich mit seinem Gast über verschiedene Themen unterhielt.
Irgendwann meldete sich Davids Mobiltelefon. Es war Lana, seine Sekretärin. »Mist«, sagte er.
»Wer ist es?«, fragte Abner.
»Mein Büro.«
»Ein Mann hat das Recht darauf, in Ruhe zu frühstücken.«
David grinste wieder und nahm das Gespräch an. »Hallo?«
»David, wo sind Sie? Es ist 8.30 Uhr«, sagte Lana.
»Ich weiß, wie spät es ist, meine Liebe. Ich frühstücke gerade.«
»Ist mit Ihnen alles in Ordnung? Man erzählt sich hier, dass Sie schon im Gebäude waren, aber in einen Fahrstuhl gehechtet und verschwunden sind.«
»Das ist nur ein Gerücht, meine Liebe, nur ein Gerücht.«
»Okay, gut. Wann kommen Sie? Roy Barton hat schon angerufen.«
»Lassen Sie mich erst mal zu Ende frühstücken.«
»Selbstverständlich. Aber bleiben Sie bitte erreichbar.«
David legte sein Telefon aus der Hand, sog kräftig an seinem Strohhalm und verkündete dann: »Noch eine, bitte.«
Abner runzelte die Stirn. »Sie sollten vielleicht etwas langsamer machen.«
»Tue ich doch schon.«
»Okay.« Abner griff nach einem sauberen Glas hinter sich und fing zu mixen an. »Dann gehen Sie wohl heute nicht mehr ins Büro?«
»Korrekt. Ich habe gekündigt. Ich haue ab.«
»Wo arbeiten Sie denn?«
»In einer Anwaltskanzlei. Rogan Rothberg. Kennen Sie den Laden?«
»Hab schon mal davon gehört. Große Kanzlei, stimmt’s?«
»Sechshundert Anwälte in Chicago. Mehrere Tausend weltweit. Zurzeit die Nummer drei, was die Größe der Kanzlei angeht, die Nummer fünf bei Umsatz pro Anwalt, die Nummer vier, wenn man sich den Nettogewinn pro Partner ansieht, die Nummer zwei, wenn man die Gehälter der angestellten Anwälte vergleicht, und mit Sicherheit die Nummer eins, wenn man die Arschlöcher pro Quadratmeter zählt.«
»Ich hätte besser nicht gefragt.«
David nahm sein Mobiltelefon in die Hand. »Sehen Sie das?«
»Ich bin ja nicht blind.«
»Dieses Ding hat mein Leben die letzten fünf Jahre beherrscht. Ohne das Telefon kann ich nirgendwohin. Vorschrift. Ich muss es immer dabeihaben. Es hat mich beim Abendessen im Restaurant unterbrochen. Es hat mich aus der Dusche geholt. Es hat mich mitten in der Nacht aufgeweckt. Einmal hat es mich sogar beim Sex mit meiner armen, vernachlässigten Frau unterbrochen. Letzten Sommer war ich mit zwei Freunden vom College bei einem Spiel der Cubs, super Plätze, erste Hälfte des zweiten Innings, und plötzlich fängt dieses Ding zu vibrieren an. Es war Roy Barton. Habe ich Ihnen schon von Roy Barton erzählt?«
»Noch nicht.«
»Mein Chef. Partner in der Kanzlei, ein bösartiger kleiner Giftzwerg. Vierzig Jahre alt, verqueres Ego, Gottes Geschenk an die Juristenzunft. Verdient eine Million Dollar im Jahr und kriegt den Hals trotzdem nicht voll. Arbeitet fünfzehn Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, weil bei Rogan Rothberg alle erfolgreichen Partner ununterbrochen arbeiten. Und Roy hält sich für einen sehr erfolgreichen Partner.«
»Scheint ein netter Kerl zu sein.«
»Ich hasse ihn. Ich hoffe, ich sehe ihn nie wieder.«
Abner schob die dritte Bloody Mary über die Theke. »Sieht ganz so aus, als
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