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Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition)

Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition)

Titel: Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?: Tragikomisches von unserem Körper und denen, die ihn behandeln (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Jötten
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Seite ist noch stärker», sage ich. Er kratzt sich am Kopf. «So was habe ich tatsächlich noch nie erlebt. Ich muss mich mal mit meinem Kollegen beraten.» Der Therapeut verschwindet, hinter der Tür höre ich Stimmen. Ich sitze in meiner Unterhose auf der Liege und seufze.
    In den letzten Jahren ist mein Körper zunehmend zu einem Instrument geworden – zur Gelenkbratsche. Es begann mit den Knien. Bei jeder Kniebeuge klang es, als würde jemand einen Stapel Dokumente zusammentackern. Dann ging es weiter im Nacken. Dann folgten die Schultern. Und nun also noch der Rücken.
    Etwa alle 30 Minuten kann ich das Gelenkknacken reproduzieren. Ich entknacke mich regelmäßig, vor allem den Nacken und die Schultern – sonst beginnt es wehzutun (dass das regelmäßige Entknacken überhaupt nicht gut ist, weiß ich erst jetzt). Dazu muss ich komische Verrenkungen machen: Zuerst ziehe ich die Schultern zu den Ohren hoch. Das verursacht ein multiples Knacken in den Schultergelenken. Dann kippe ich den Kopf erst zur linken, dann zur rechten Seite und spanne die Nackenmuskeln an. Das knackt noch mal ordentlich in beiden Strängen. Manchmal will es nicht sofort, dann muss ich den Kopf wild hin und her rollen.
    Wir Knacker erkennen uns auf der Straße. Immer häufiger fallen mir Männer auf – meistens sind es Männer, warum auch immer –, die ihren Kopf in der gleichen seltsamen Verrenkung bewegen. Es ist unser irrer Gruß: «Lass knacken, Alter.» – «Jo. Muss.»
    Die Geräusche sind mir allerdings etwas unangenehm. Meine Freundin bekommt Gänsehaut, wenn ich zu Hause Gymnastik mache. Im Kino muss ich immer auf die Actionszenen warten, sonst drehen sich die Leute verstört nach mir um. Und bei der Arbeit wundern sich meine Kollegen über die vermeintlich defekte Stuhlhydraulik.
    Ich nahm das Phänomen lange Zeit mit Humor, es hatte eine morbide Faszination angenommen. Doch als dann noch mein Rücken anfing zu knacken, wurde ich nervös. Hatte ich überhaupt noch Knorpelgewebe? Oder rieb schon Knochen auf Knochen? Würde ich schon bald im Rollstuhl sitzend laut vor mich hin knacken und mit dem Stock den Kindern drohen, die mir «Alter Knacker!» hinterherriefen? Ab zum Spezialisten, dachte ich mir. Und jetzt das.
    Nach seiner Beratung kommt mein Physiotherapeut wieder herein. Aus seinem Gesicht spricht noch immer die Ratlosigkeit. Er stammelt ein wenig vor sich hin und sagt etwas von Verschleißerscheinungen und Gelenken und Unterdruck. Aber so richtig bringt mich das nicht weiter.
    Zwei Orthopädenbesuche und drei Röntgenaufnahmen später weiß ich, dass ich tatsächlich Verschleißerscheinungen in der Wirbelsäule habe. Mit 39 Jahren will man so etwas nicht hören, auch wenn der Orthopäde betont, dass das normal und kein Grund zur Beunruhigung sei. Aber ob die Verschleißerscheinungen das Knacken verursachen, kann er mir nicht sagen. Beziehungsweise kann ich ihn das in der maximal 30 -sekündigen Unterhaltung nicht fragen. Dann ist der vielbeschäftigte Weißkittel schon wieder aus dem Zimmer geeilt.
    Von der Medizin alleingelassen, knacke ich weiter einsam vor mich hin. Vor einigen Monaten habe ich mit Krafttraining angefangen. Vor der Kulisse des Fitnessstudios falle ich mit meinen Körpergeräuschen glücklicherweise nicht so auf, wenn Eisen auf Eisen haut und Schnaufer auf Ächzer trifft. Ich mache viele Übungen für die Schulter- und Nackenmuskulatur, das hat die Lage etwas entspannt. Trotzdem ist das Knacken noch da. Mein einziger Trost ist, dass es im Alter vermutlich weggehen wird – weil die Gelenke dann steif werden. Das ist beknackt, aber immerhin bin ich mit dem Problem nicht allein.
    «Wenn Gelenke knacken, sind sie nur eingerostet.»
    Professor Bernd Kladny, Chefarzt für Orthopädie in Herzogenaurach und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, klärt auf.

    Gelenkknacken ist in der Regel harmlos, sofern es nicht von Schmerzen begleitet ist. «Gelenke brauchen – ähnlich wie Kugellager – ein gewisses Spiel. Wenn aufgrund einer Fehlbelastung, einer andauernden Fehlhaltung oder von Muskelveränderungen eine Störung dieses Spiels vorliegt, dann läuft es nicht mehr rund. Wenn Gelenke knacken, sind sie aber meist nur ‹eingerostet› und müssen nicht beschädigt sein», so Kladny.
    Was Gelenkknacken verursacht, ist noch immer nicht geklärt. Mögliche Hypothesen sind, dass sich die Gelenkflächen kurzzeitig voneinander lösen und dies wie bei einem Saugnapf

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