Vertrau mir
erreichen konnte. Warum band man ein Tier an, das schon in einem Käfig gefangen war? Es war der reine Zynismus. Die reine Grausamkeit. Der Hund war tot. Im Gesicht der armen Kreatur stand das ganze Leid des Todeskampfes. Der Körper lag unnatürlich gekrümmt. Die Augen standen offen, blickten Maike starr und verständnislos an. Sie schluckte. Wer machte so etwas?
In diesem Moment verstand sie Claudia und ihre Sinnesgenossen. Menschen, die für so etwas verantwortlich waren, durften nicht ungestraft bleiben. Aber die geltenden Gesetze, und die kannte Maike gut, beschränkten sich in diesen Fällen, wenn sie denn zur Anzeige kamen, auf Geldstrafen. Eine viel zu milde Strafe. Die Versuchung, Selbstjustiz zu üben, war da groß. Besonders, wenn man sich in einer Gruppe bestätigt und geschützt fühlte. Und war es auf eine gewisse Weise nicht gut, dass es Leute wie Claudia gab, die Mut zur Aggressivität hatten? Gäbe es sie nicht, läge der Kampf gegen das Leiden der Tiere noch mehr im Verborgenen.
»Los, wir öffnen die Käfige und bringen die Tiere nacheinander zum Lieferwagen«, sagte Claudia neben ihr. »Du musst uns helfen, damit es schneller geht.« Maike besann sich, weshalb sie eigentlich hier war. »Komm schon«, drängte Claudia. »Es zählt jede Minute.« Claudia lief zu den Käfigen, öffnete den ersten und hatte Mühe, einem der verängstigten Tiere habhaft zu werden. Maike filmte sie dabei. Dann schaltete sie die Kamera aus und half ihr. Als sie das Tier endlich so weit beruhigt hatten, dass es sich das Band anlegen und führen ließ, durchströmte Maike ein Glücksgefühl, wie sie es noch nie vorher erlebt hatte. Es stand in ihrer Macht, dieses Geschöpf aus seiner Gefangenschaft zu befreien und vor einem grausamen Schicksal zu bewahren. In Zukunft würde es ein Leben in einer Umgebung leben, die seiner Art gerecht wurde. Dafür hatte die Gruppe bereits vor der Aktion gesorgt. Man hatte Plätze gefunden, wo diese Hunde leben würden, bei Menschen, die sich verantwortungsbewusst um die Tiere kümmerten. Annas Worte kamen Maike in den Sinn. »Sie werden feststellen, dass der Tierschutz eine Sache ist, für die zu kämpfen gut tut.« Ihre Antwort war gewesen: »Ich habe gelernt, meine Fälle objektiv zu betrachten, ohne überflüssige Gefühlsduselei.« Doch wenn sie ehrlich war, musste Maike einräumen, in diesem Fall hatte sie ihre Schwierigkeiten damit.
8.
G retas Frage schwirrte Anna am nächsten Morgen immer noch durch den Kopf. Warum half sie Maike Roloff und arbeitete damit direkt für die Gegenseite? Gut, sie für ihren Teil lehnte es ab, Leute zu entführen, um Forderungen durchzusetzen. Aber musste sie sich deshalb einmischen, wenn andere es taten? Sie teilte immerhin deren Motive. Das war wenigstens eine Gemeinsamkeit. Mit Maike Roloff hatte sie keine. Sie sollte dies Maike höflich, aber bestimmt klarmachen, damit das Ganze ein Ende nahm.
Anna war gerade fertig mit der Morgenfütterung und schloss den Stall mit den Tierunterkünften ab, da tauchte Maike bei ihr auf. Gut, dachte sie. Je eher, je besser. Da konnte sie ihr gleich sagen, was Sache ist. Doch noch bevor Anna dazu kam, den Mund aufzumachen, sprudelte es nur so aus Maike heraus. »Ich habe fünf Hunde befreit. Alle zusammen waren es dreiundzwanzig. Leider konnten wir nicht mehr auf unserem Lieferwagen unterbringen.« Die Begeisterung in Maikes Stimme war nicht zu überhören. Mehr noch. Anna konnte sie nachfühlen. Man fühlte sich groß nach so einer Aktion. Sie hatte es selbst oft erlebt.
Statt Maike wie geplant ihren Ausstieg aus dem Fall zu erklären, ließ Anna sich ablenken. »Seien Sie auf der Hut«, warnte sie. »Ehe Sie sich versehen, entgleitet Ihnen die Sache.«
»Keine Bange. Ich weiß, was ich tue«, versicherte Maike bestimmt. Etwas zu bestimmt, wie Anna fand. Sie merkte deutlich, dass Maike sich in einem Zwiespalt befand.
»Wie fühlen Sie sich?« fragte sie Maike.
»Phantastisch.«
»Wann haben Sie sich das letzte Mal so gefühlt?«
»Als ich meine erste Beförderung erhielt. Ich wusste, das war richtig.«
»So wie gestern Nacht?«
»Ja«, antwortete Maike prompt. Sie stutzte.
Anna schaute sie nur an, sagte nichts.
»Aber damit meine ich nicht das Befreien von Tieren«, versuchte Maike sich herauszureden. »Das war nur ein angenehmer Nebeneffekt meiner Ermittlungsarbeit.«
Unter Annas eindringlichem Blick lenkte sie widerwillig ein: »Gut. Vielleicht habe ich mich ein wenig mitreißen lassen.«
Anna
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