Vertrau mir
Zweifel. Ich wollte ihr vertrauen. Sie war meine Geliebte und Freundin, die Gruppe, meine Familie. Das alles ist jetzt schon zwei Jahre her. Trotzdem vermisse ich manchmal die Gruppe, das Gefühl des Zusammenhalts. Sie können sich nicht vorstellen, wie stark es mich machte, auch in allen anderen Dingen des Alltags. Ich gebe zu, ab und zu bereue ich meinen Ausstieg. Ich denke dann, ich hätte lieber versuchen sollen, die Gruppe nach und nach auf meine Seite zu ziehen. Es gab sicher noch Zweifler, die auf meine Rückkehr warteten. Nun, wo es keinen Widersacher mehr gab, hatte Claudia natürlich leichtes Spiel mit ihnen.«
»Warum haben Sie mit diesen Zweiflern nicht Ihre eigene Gruppe gebildet?«
»Damals war ich einfach so enttäuscht, dass ich mit all dem schlichtweg nichts mehr zu tun haben wollte. Ich fühlte mich plötzlich total ausgebrannt.«
Anna schaute versonnen vor sich hin. Sie wirkte in diesem Moment sehr zerbrechlich. Maike legte ihre Hand auf Annas. »Ich verstehe Sie. Manchmal geht es mir auch so. Da fühle ich mich einfach nur müde, ohne jede Energie. In solchen Momenten frage ich mich, warum alle von mir erwarten, dass ich auf jede Frage eine Antwort habe, für jedes Problem eine Lösung. Warum stehe ich jeden Morgen auf und tue, was ich tue? Warum bleibe ich nicht einfach mal liegen und mache einen Tag blau? Die Welt dreht sich auch mal ohne mich weiter.«
»Ja, so in etwa dachte ich damals auch.« Anna sah Maike erstaunt an. »Dass Sie das kennen, hätte ich allerdings nicht erwartet.« Sie sah auf Maikes Hand, die auf ihrer lag. Maike zog sie verlegen zurück. »Entschuldigung«, murmelte sie. »Ich wollte nicht . . .« Maike brach ab.
»Es muss Ihnen nicht peinlich sein. Ich kenne sehr wohl den Unterschied zwischen einem Annäherungsversuch und einer tröstenden Gebärde. Danke für Letzteres.« Annas Stimme klang sachlich. Sie hatte sich wieder gefangen. Und Maike war es äußerst unangenehm, dass sie so viel Gefühl gezeigt hatte. Natürlich reines Mit gefühl, wie sie sich sagte. Trotzdem fühlte sie sich unwohl in ihrer Haut. Zu allem Überfluss erinnerte sie sich daran, dass Anna sie eigentlich bereits rausgeschmissen hatte.
»Möchten Sie noch einen Kaffee?« fragte Anna.
»Äh, ja. Danke«, stotterte Maike.
Annas forschender Blick traf sie. »Was ist los?«
»Ich dachte, Sie wollten mich loswerden«, antwortete Maike direkt.
Nun schien auch Anna sich darauf zu besinnen. Sie lächelte leicht. »Das ist wahr. Sie bringen meinen gewohnten Lebensrhythmus durcheinander. Sie stressen mich.«
»Ich stresse Sie?« Maike verstand nicht. »Wie das?«
»Absurderweise fühle ich mich für Sie verantwortlich. Allein die Aktion gestern Abend. Es hätte sonst was passieren können.«
»Ach kommen Sie. Es war absolut ungefährlich. Das Schlimmste, was passieren konnte, war, dass wir verhaftet worden wären. Und das wäre ja für mich das geringste Problem gewesen.«
»Denken Sie! Und was ist mit den Sicherheitskräften?«
»Welche Sicherheitskräfte?«
»Die des Objektes, in das Sie eingedrungen sind, natürlich.«
»Da waren nur ein paar Wachhunde.«
»Und was, wenn Sicherheitskräfte dagewesen wären? Wenn nun einer dieser Leute die Nerven verloren und geschossen hätte? Was dann?«
»Die Gruppe recherchiert das vorher gründlich.«
»Wie mein Fall zeigt, kann so eine Recherche fehlerhaft sein.«
»Das ist natürlich möglich. Aber . . . Anna, mein Job bedeutet immer ein gewisses Risiko. Sie müssen es mir überlassen, für wie gefährlich ich die Situation einschätze.« Maike wusste, ihre Worte klangen überheblich, auch wenn sie nicht so gemeint waren. Deshalb setzte sie erklärend hinzu: »Für Sie sieht es so aus, als höre ich Ihnen nicht zu. Doch da irren Sie sich.« Und in einem Anfall von Galgenhumor rutschte Maike heraus: »Zum Beispiel weiß ich aus dem, was Sie mir erzählt haben, dass ich versuchen könnte, mit Claudia zu flirten, um so an Informationen zu kommen. Das war ein nützliches Detail.« Annas Gesichtsausdruck zeigte eine Mischung aus Enttäuschung, Ungläubigkeit und – ja – Ekel.
Maike war entsetzt. Anna glaubte wirklich, sie würde sich für ihren Job, genauer gesagt für ihre Karriere, prostituieren. Anna hatte ja wirklich ein phantastisches Bild von ihr. Sie musste hier wohl mal was klarstellen.
»Anna!« Maike verlieh ihrer Stimme einen, wie sie hoffte, überzeugenden Ton. »Das war ein Scherz!«
Zunächst schwieg Anna. Dann nickte sie
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