Vertraue nicht dem Feind
Bestimmt würde sie sich, ehe sie aufs Revier zurückkehrte, erst einmal zu Hause umziehen. Reese beneidete die armen Kollegen, die es an diesem Abend noch mit ihr zu tun bekamen, kein bisschen.
Noch vor gar nicht allzu langer Zeit hätte er seinen schwelenden Ärger mit einer ausgiebigen Dusche, einem Bier, einer willigen Frau und einem erholsamen Schlaf besänftigt – genau in dieser Reihenfolge.
Wie bezeichnend, dachte Reese, dass er bisher nicht eine Sekunde lang erwogen hatte, sich in seine eigene Wohnung zurückzuziehen. Auch wenn ein wirklich schlimmer Tag hinter ihm lag, wollte er nur eins: nach Hause gehen und bei Alice sein.
Was heute Abend gleichbedeutend war mit einem Besuch bei Rowdy, Logan, Pepper und Dash, die sich alle in Alices Wohnung versammelt hatten.
Wie ging es Alice wohl dabei? Für eine Frau wie sie, die sich so lange vor der Welt verschlossen hatte, war es sicher unangenehm, dass er sich nicht nur in ihr Leben gedrängt, sondern auch gleich einen ganzen Trupp an Freunden mitgebracht hatte.
Und was für Freunde.
Rowdy lümmelte sich behaglich auf der Couch und wirkte gar nicht mehr verwegen. Cash hatte sich auf seinen Schoß gefläzt und bettelte um Aufmerksamkeit. Es war fast unheimlich, wie Rowdy sich binnen Sekunden vom mörderischen Draufgänger in einen lässigen Kumpel verwandeln konnte.
Logan, Pepper und Dash hatten zusammen mit Alice auf Reeses Rückkehr gewartet und waren noch da.
Zum Glück war nicht auch noch Peterson hier aufgetaucht. Reese würde sie von nun an für immer mit anderen Augen sehen.
Als Reese vorhin ohne Hemd nach Hause gekommen war, hatte Alice ihn äußerst vielsagend gemustert, ehe sie, begleitet von Pepper, in der Küche verschwunden war, um Kaffee zu kochen.
Reese gingen tausend Dinge durch den Kopf. Er hätte heute sterben können, ebenso wie Peterson und Rowdy. Beim Clinch mit dem Desert-Eagle-Schützen hatte er sich die Fingerknöchel aufgeschürft, sein Knie war geschwollen, und sein Kopf schmerzte.
Eine simple Beobachtungsmission war in Chaos und Zerstörung ausgeartet, und anstelle einer vagen Bedrohung war Gefahr für Leib und Leben eingetreten. Doch nichts von dem würde ihn aus der Bahn werfen.
Trotzdem stand seine Welt Kopf. Wegen Alice. Er konnte es selbst kaum glauben, wie sehr er sich danach gesehnt hatte, wieder bei ihr zu sein, sie nach dem verstörenden Ausgang dieses Tages im Arm zu halten und zu berühren.
Oh ja, er hätte durchaus sterben können. Aber in seiner bisherigen Laufbahn hatte er schon häufiger in Lebensgefahr geschwebt und es jedes Mal geschafft, die schlimmen Erlebnisse abzuschütteln und wieder zur Tagesordnung überzugehen.
Aber diesmal konnte er nicht so einfach zur Normalität zurückkehren, nicht wenn sein Tod bedeutete, dass er Alice nie wiedersehen würde.
Sie bedeutete ihm so unfassbar viel. Wie sollte das alles nur weitergehen?
Reese rieb sich das Gesicht, sank gegen die Sessellehne und versuchte zu begreifen, weshalb Alice eine derartige Wirkung auf ihn ausübte.
»Lieutenant Peterson hat mich heute wirklich verblüfft«, bemerkte Rowdy im Plauderton.
Reese öffnete ein Auge.
Rowdy streichelte den Hund und grinste Reese an.
Was für ein Irrsinn. Das Chaos aus Gewalt und Zerstörung, das sie erlebt hatten, schien Rowdy völlig kalt zu lassen und auch die Tatsache, dass sie an der Schwelle zum sicheren Tod gestanden hatten, belastete ihn offenbar nicht weiter. Stattdessen hockte er auf dem Sofa und grinste amüsiert vor sich hin.
Toll. Offenbar hatte Rowdy Todessehnsucht oder zumindest ein verantwortungsloses Desinteresse an seinem Leben und seiner körperlichen Unversehrtheit. In Kürze wollte er zu allem Überfluss auch noch zu seinem Date mit DeeDee aufbrechen, doch nach all dem, was heute passiert war, würde Reese das auf keinen Fall zulassen.
»Meinst du Margo?«, horchte Dash mit unverhohlenem Interesse auf.
Wer zur Hölle war Margo? »Sie heißt Margaret. Lieutenant Margaret Peterson«, betonte Reese noch einmal zum besseren Verständnis.
Dash hob nur die Schultern. »Schon klar, aber sie wird Margo gerufen.«
Seit wann denn das?,
fragten sich Logan und Reese gleichzeitig und tauschten verwunderte Blicke aus.
»Also«, bohrte Dash weiter, »was hat sie getan?«
»Mich hat weniger beeindruckt, was sie getan hat, sondern eher, wie sie dabei aussah«, erläuterte Rowdy in einem Tonfall, der eigentlich keine Fragen offenließ, fügte aber noch hinzu: »Reese weiß, was ich meine. Als er sie
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