Vertrauen statt Dominanz - Wendt, M: Vertrauen statt Dominanz
kommt es allerdings zu einem Vorgang, den man Sozialisierung nennt, bei dem sich ein Pferd unbewusst einprägt, was „normal“ ist und was nicht. Lebt es beispielsweise in einer Gruppe von ausschließlich Islandpferden, so wird es sich später eher zu diesen hingezogen fühlen und andere Pferde mit ihren Eigenarten nicht ganz so leicht akzeptieren können.
Auch wird es auf die Farbe der Mutter und der Geschwister nachhaltig geprägt. Da Fellfarben vererbbar sind, kann es sein, dass ein Fohlen eben nur andere braune Pferde um sich herum gesehen hat und nun als erwachsenes Pferd etwas länger benötigt, um sich mit einem Tigerschecken anzufreunden. Wie stark diese Vorlieben ausgeprägt sind, ist von Pferd zu Pferd sehr verschieden. Es soll allerdings so weit gehen, dass manche Hengste bestimmte Farben bei Stuten nicht akzeptieren und diese nicht einmal dann bedecken, wenn sie in der Rosse sind.
Vom ersten Lebenstag an beobachtet das Fohlen die Mutterstute sehr genau. Es übernimmt viele ihrer Vorlieben und orientiert sich an ihrem Verhalten.
Rang und Namen
Rang und Namen
Soziale Strukturen bei Pferden
D
as Herdenleben der Pferde ist gekennzeichnet von unterschiedlichen sozialen Strukturen, Freundschaften und Verwandtschaftsverhältnissen. Dabei verändern sich die Rollen der Hengste und Stuten je nach Lebenssituation in einem beträchtlichen Ausmaß. Sowohl die Position innerhalb einer bestimmten Gruppe wie der Junggesellengruppe oder dem Familienverband, die Anzahl der zusammenlebenden Geschlechtsgenossen, das Vorhandensein von Nachwuchs als auch der hormonelle Zyklus beeinflussen die sozialen Strukturen der Pferde. Pferde sind wahre Meister der Anpassung: Während ein bestimmtes Pferd sich in der einen Offenstallgruppe eher unauffällig und ängstlich verhält, kann sich dasselbe Pferd in einer anderen Offenstallgruppe mit einer neuen Gruppenkonstellation ganz anders verhalten und sich in einer anderen Position wiederfinden. Dabei wird es sich je nach seinem aktuellen Gegenüber auch für eine an die jeweilige Situation angepasste Körpersprache entscheiden. Denn die körpersprachliche Kommunikation der Pferde ist immer abhängig von ihrem jeweiligen „Gesprächspartner"; so variieren sie ihre Signale je nachdem, ob sie mit einem Menschen, einem fremden Hengst oder einem Fohlen kommunizieren möchten. Das folgende Kapitel gibt einen Überblick über die flexiblen sozialen Strukturen von Pferden.
Weit entfernt von der „Hackordnung": Die Rangordnung bei Pferden ist ein sehr komplexes System, das nur durch aufwändige Studien erfasst werden kann.
Komplexe Rangordnungsverhältnisse
Wir Menschen haben die natürliche Neigung, in unserer Welt nach Sinn und Ordnung zu suchen und dann auch zu meinen, diese überall wiederzuerkennen. Einfache Erklärungsmodelle geben uns zwar die scheinbare Sicherheit, unsere Umwelt verstehen zu können, aber leider stellt sich die Natur stets wesentlich komplexer dar, sobald wir genauer hinsehen und sie hinterfragen.
Eines dieser vereinfachten menschlichen Erklärungsmodelle ist das Prinzip einer feststehenden Rangordnung innerhalb einer Pferdeherde. In der Reiterwelt hat sich diese Vorstellung seit langer Zeit etabliert, denn sie verspricht dem Menschen die angebliche Sicherheit, eine Führungsposition gegenüber dem Pferd einzunehmen und dessen zukünftiges Verhalten damit sicher vorhersagen und kontrollieren zu können. Nun sollten wir uns aber bewusst sein, dass die im Zusammenhang mit der Rangordnung umgangssprachlich häufig verwendeten Begriffe wie Alphatier, Dominanzverhalten und Rang ursprünglich aus der Verhaltensbiologie stammen. Ich möchte im Folgenden einen Überblick über die verhaltensbiologische Bedeutung der zentralen Begrifflichkeiten des Herdenverhaltens der Pferde liefern.
Definition der Rangordnung
Grafik 1:
Früher stellte man sich die Rangordnung in einer Pferdeherde wie eine Sprossenleiter vor, bei der ein Alphatier oben an der Spitze der Rangordnung alle anderen dominiert und das Omegatier am Ende von sämtlichen Pferden dominiert wird. Neuere Erkenntnisse legen dar, dass die Verhältnisse in einer Pferdeherde nicht so simpel gestrickt sind.
Grafik 2:
Pferde bilden keine linearen Rangordnungen, sondern häufig komplexere Konstellationen wie Dreiecksbeziehungen, bei denen kein rein dominantes Pferd festgestellt werden kann.
Grafik 3:
Jedes Pferd pflegt zu jedem anderen Herdenmitglied Kontakte. Je mehr Pferde beteiligt sind
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