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Vertrauen statt Dominanz - Wendt, M: Vertrauen statt Dominanz

Vertrauen statt Dominanz - Wendt, M: Vertrauen statt Dominanz

Titel: Vertrauen statt Dominanz - Wendt, M: Vertrauen statt Dominanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlitt Wendt
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und je mehr verschiedene Lebensbereiche beobachtet werden, desto komplizierter ist das Netzwerk der Beziehungen.
     
    Lineare Beziehungen kontra Netzwerksbeziehung
    In der modernen Verhaltensbiologie wird schon seit Jahren versucht, dem Phantom der linearen Rangordnung habhaft zu werden. Aber bisher haben die Pferdeverhaltensforscher in verschiedenen Studien lediglich Dreiecksbeziehungen und kompliziertere Formen als eine lineare Rangordnung beschreiben können. Diese kann man sich nach dem Muster vorstellen: A dominiert B, B dominiert C, während C aber wiederum A dominiert. Wer ist nun ranghöher? Die Antwort darauf ist müßig, da eine Rangordnung eben keine Ordnung im Sinne einer Leiter mit Sprossen darstellt, sondern eine Art Netzwerkbeziehung, die individuelle Persönlichkeitsmerkmale mit einbezieht. Selbst in den Gruppen, in denen zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Rangordnung festgestellt wurde, konnte zu einem späteren Zeitpunkt keine mehr bestimmt werden. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass ein Pferd dauerhaft und in allen Lebenslagen dominant über ein anderes sein kann.
     

    Auseinandersetzungen zwischen Pferden sind sehr auffällig und damit leicht zu beobachten. Um den Rang eines Pferdes zu bestimmen, müssen Verhaltensforscher ihr Hauptaugenmerk aber auf die sehr subtilen Signale der Kommunikation richten.
     
    Der Biologe versteht unter einer Rangordnung ein System, in dem der Status der einzelnen Tiere einer Gruppe innerhalb eines begrenzten Zeitraums und mithilfe genau definierter, kennzeichnender Verhaltensweisen wiedergegeben werden kann. Der einzelne Rang bezieht sich dabei auf eine gedachte Position. Ein im Rang höhergestelltes Pferd sollte mehr Privilegien genießen als andere, es sollte aber auch mehr Pflichten erfüllen, wie etwa die Führung der Gruppe. Es ist jedoch eine Fehleinschätzung, zu glauben, dass das ranghöhere Tier generell alle Privilegien an sich reißen wird. Es macht biologisch keinen Sinn, Energie für etwas zu verschwenden, was man nicht wirklich benötigt. So wird kein Pferd vorsichtshalber fußballfeldgroße Grasbereiche verteidigen, da es nicht all dieses Gras gleichzeitig fressen kann und es mehr Energie verschwenden würde, um andere Pferde ständig zu vertreiben, als es in derselben Zeit aufnehmen könnte. Im Pferdeleben und damit auch bei der Etablierung einer Rangordnung geht es um den Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen wie Fortpflanzungspartnern, Nahrung oder auch Sozialkontakten - alles letztlich mit dem Ziel, den eigenen Fortbestand zu sichern.
    Um nicht jedes Mal aufs Neue zum Beispiel um bestimmte Futterplätze kämpfen zu müssen, etablieren Pferde Rangordnungen, die ihnen helfen, den eigenen Status zu demonstrieren und die Position der anderen Herdenmitglieder anzuerkennen. Es sollen so Konflikte vermieden und die Struktur der Herde gestärkt werden.
    Die Rangposition eines Pferdes zu definieren ist ein komplizierter Vorgang, der eben nicht, wie von einigen Trainern behauptet wird, im Vorbeigehen und innerhalb weniger Minuten durch bloßes Ansehen der Tiere erbracht werden kann. Vielmehr sind Hunderte von Stunden Datenaufnahme nötig, welche dann nach verschiedenen statistischen Verfahren verrechnet werden müssen, wobei das Ergebnis dieser aufwändigen Arbeit aber nur Rückschlüsse auf den zuvor beobachteten Zeitraum zulässt. Mit dieser Methode können also keine Verhaltensprognosen für die Zukunft erstellt und auch keine exakten Aussagen zur Gruppenstruktur erbracht werden.
    Diese Momentaufnahme erlaubt also dem Biologen nur eine erste Annäherung an die komplexe Struktur der Pferdeherde. Hat der Wissenschaftler nun die Rangpositionen berechnet, so könnte er theoretisch eine Klassifizierung der einzelnen Pferde durchführen. Dabei würde nach dem griechischen Alphabet das Alphatier an der Spitze stehen, dem alle anderen untergeordnet sind, gefolgt von Beta, dem alle anderen Pferde außer Alpha untergeordnet sind. Daran würden sich absteigend an einer gedachten Skala alle übrigen Herdenmitglieder bis zu dem als Omegatier bezeichneten untersten Mitglied der Herde anschließen. Diese errechnete Rangordnung, die bezogen ist auf ein bestimmtes Merkmal, wie etwa das individuelle Aggressionspotenzial der einzelnen Pferde einer Gruppe, erlaubt es, die einzelnen Pferde wie Sprossen auf einer Leiter anzuordnen - sie darf aber nur als ein sehr vereinfachtes Modell angesehen werden. Die komplexe soziale Struktur der Pferdeherde ist jedoch bei Weitem

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