Vertrauen
Für Luther lag darin die Frage nach dem rechten Glauben. Der Glaube an den strengen Gott, an den Richter-Gott, führt zu solchen Selbstzweifeln und Selbstbeschuldigungen. Wie werde ich frei von diesem Zwang, mich selber zu verurteilen und zu beschuldigen? Das war die grundlegende Frage, die Luther umgetrieben hat. Und die Antwort hat er in Jesus Christus gesehen, der am Kreuz all diese Selbstzweifel durchgestrichen hat und uns vom Kreuz herab zuruft: „Du bist bedingungslos geliebt. Du brauchst gar nicht darauf zu achten, ob du richtigbist, ob du alles richtig machst. Die Liebe Gottes, die im Kreuz sichtbar wird, ist stärker als alle Selbstverurteilung.“
Die Selbstzweifel lähmen. Sie rauben uns alle Lebenskraft. Das Vertrauen in den gnädigen Gott weckt neue Kräfte in uns. Wir können uns dem Leben stellen. Wir können getrost unseren Weg gehen. Wir sind frei von dem Zwang, uns selbst immer beobachten zu müssen, ob wir gut genug sind. Wir werden frei, uns dem Leben zuzuwenden. Das bringt uns mit der Kraft in Berührung, die in uns ist. Selbstzweifel schneiden uns ab von dieser Kraft.
Wie von einem Mantel umfangen
„G lauben heißt: nicht wissen“, sagen Kritiker gerne. Das wäre ein Lückenbüßer-Verständnis des Glaubens, der dann jeweils abgelöst würde durch sichere Erkenntnis. Gott ist aber mehr als eine bloße Arbeitshypothese. Wenn der Glaube nur für das zuständig wäre, was wir noch nicht wissen, dann stünde er auf einem brüchigen Fundament. Denn dann müsste er ständig Rückzugsgefechte liefern, sobald das Wissen neue Bereiche erobert hat. Der Glaube ist kein beliebiges „Meinen“ und er steht nicht gegen das Wissen. Er beschränkt sich nicht auf das, was wir noch nicht wissen. Vielmehr umgreift der Glaube unser ganzes Wissenssystem. Er ist mehr als Wissen. Er ist die Deutung von allem, was ist. Glaube ist wie ein Mantel, der das Wissen einhüllt. Er ist das Vertrauen, dass wir mit all unserem Wissen und Unwissen in der guten Hand Gottes sind und dass unser Leben von Gottes Liebe umfangen ist.
Der Glaube drückt etwas Hintergründiges aus: nämlich, dass hinter all dem, was die Naturwissenschaft beobachtet und erforscht, Gott steht. Wir können ihn nicht mit den Mitteln der Naturwissenschaften beweisen. Aber wir können ihn bejahen. Gott ist nicht ein Lückenbüßer für das noch nicht Erforschte. Mitten in allem, was wir wissen und noch wissen werden, wissen wir uns im Glauben von Gott getragen und in all unserem Reden und Tun auf Gott bezogen.
6
GOTT LÄSST KEINEN FALLEN
In der Sehnsucht liegt schon alles
I n geistlichen Gesprächen höre ich oft, dass Menschen Gott nicht vertrauen können. Sie haben soviel gebetet, aber Gott hat nicht geholfen. Manchmal sind es Enttäuschungen, die sie erfahren haben, die sie daran hindern, auf Gott zu vertrauen. Oft aber ist es das Gottesbild, das ihnen das Vertrauen unmöglich macht. Das Gottesbild hängt ab von der Erfahrung von Vater und Mutter. Wenn mir die Mutter wenig Urvertrauen vermittelt hat, tue ich mir schwer, mich in Gott geborgen zu wissen. Und wenn der Vater als Alkoholiker unzuverlässig war, wenn er betrunken unberechenbar war und willkürlich gehandelt hat, dann überträgt sich diese Erfahrung leicht auf Gott. Auch wenn ich bewusst an den barmherzigen Gott glaube, ist dann tief in meinem Innern die Angst, dass diesem Gott nicht zu trauen ist, dass er mir einen Strich durch die Rechnung macht. Ich habe einen Priester begleitet, der immer vom barmherzigen Gott gepredigt hat. Aber auf dem Hintergrund der Erfahrung mit seinem alkoholkranken Vater hatte er immer doch ein Grundmisstrauen Gott gegenüber. Gott könnte ihm eines auswischen. Man wisse nie, was Gott alles vorhat.
Manche, die in ihrer Kindheit wenig Vertrauen erfahren haben, beklagen sich, dass deshalb auch ihre Gottesbeziehung gestört ist. Aber es ist nicht notwendigerweise so, dass diese Menschen ihr Leben lang benachteiligt sind. Es gibt auch die Gotteserfahrung, die mein mangelndes Vertrauen heilt. Manche erfahren das in einem Gottesdienst, wenn ein Wort oder ein Lied sie anspricht. Andere spüren es in derNatur. Auf einmal fühlen sie sich getragen und bedingungslos geliebt. In diesem Moment wird die Wunde des mangelnden Vertrauens geheilt. In diesem Augenblick spüren sie, dass sie vertrauen können. Allerdings wird diese spirituelle Erfahrung noch nicht das ganze Leben durchdringen. Zwischendrin wird immer wieder das alte Misstrauen aufbrechen. Dann hilft es nur,
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