Vertrauen
völlig zu überwinden. Denn damit würde dem Menschen ein wichtiges Instrument fehlen, um auf Gefahren reagieren zu können. Wenn die Angst das rechte Maß nicht überschreitet, dann steigert sie unsere Lebendigkeit. Das weiß jeder, der Angst hat um seinen Geliebten, der vor einer schwierigen Reise steht. Wenn er gesund wieder nach Hause kommt, ist das Glück des Wiedersehens umso größer. Die Angst ist gleichsam die Folie, auf der wir die Rückkehr und Nähe des andern beglückender und intensiver erfahren.
Ganz im Augenblick
T herese von Lisieux, die kleine Therese, gehört zu den großen Weisen unter den Heiligen. Sie ist schon als junge Karmelitin gestorben. Sie hatte damals in einem Klima enger und Angst machender Spiritualität den Mut gefunden, für sich den kleinen Weg der alltäglichen Liebe zu entdecken. Sie warf das ganze komplizierte spirituelle System, das man ihr vorsetzte, über den Haufen und traute der Liebe. Trotz ihrer Jugend hatte sie ein tiefes Gespür für das Geheimnis des Menschen. Diese große Kennerin der Seele schreibt: „Wenn uns Verzweiflung überkommt, liegt das gewöhnlich daran, dass wir zuviel an die Vergangenheit und an die Zukunft denken.“ Wir sind verzweifelt, weil wir in der Vergangenheit nicht so perfekt waren, wie wir das sein wollten. Wir können die Vergangenheit nicht loslassen. Und wir schauen ängstlich in die Zukunft, was sie wohl bringen möge. Der einzige Weg, von der Verzweiflung frei zu werden, ist: ganz im Augenblick zu sein. Jetzt in diesem Augenblick lebe ich vor Gott. Und jetzt bin ich von seiner Liebe umfangen. Das genügt. Was war und was kommen mag, kümmert mich nicht und bereitet mir keinen Kummer.
In Seiner liebenden Nähe
A ls die junge Philosophin Edith Stein Teresa von Avilas „Buch von den Klostergründungen“ las, wusste sie: „Das ist die Wahrheit.“ Berühmt ist der Satz, den Teresa auf einen Zettel schrieb, den sie immer bei sich trug: „Nichts verwirre dich, nichts erschrecke dich, alles geht vorüber, Gott ändert sich nicht. Die Geduld erreicht alles. Wer Gott besitzt, dem mangelt nichts; Gott allein genügt.“ „Dios solo basta“: Oft hat man diesen Satz so gedeutet, als ob der Mensch nur Gott brauche und sonst nichts. Doch Teresa versteht den Satz nicht asketisch. Sie zeigt in ihrem Leben, dass sie nicht nur Gott brauchte, sondern auch Menschen. Man hat sie mit Recht die „Heilige der Freundschaft“ genannt. Das spanische „Solo Dios basta“ übersetzt man besser: „Nur Gott genügt.“ Teresa meint damit: Der Mensch hat in sich eine so große Sehnsucht, dass nur Gott diese Sehnsucht wirklich zu erfüllen vermag. Nur Gott ist in sich groß genug, um die Weite des menschlichen Herzens zu erfüllen. Das menschliche Herz braucht auch die Freundschaft. Aber kein Mensch kann das menschliche Herz ganz ausfüllen. Das vermag nur Gott.
Die Spiritualität Teresas war von einer großen Liebe, aber auch von Freiheit und Humor geprägt. Teresa konnte tanzen und feiern. Sie hatte Charme und setzte ihn bewusst ein, wenn sie von Bischöfen etwas erreichen wollte. Sie beklagt sich, wenn Beichtväter die Frauen schlecht behandeln. Und sie genießt die Freundschaft kluger Männer. Teresas Schriften sind voller Lebendigkeit und Klarheit. Sie atmen Freude und Zärtlichkeit, Klugheit und Menschenfreundlichkeit. Da ist keineenge Gesetzlichkeit. Teresa hat erfahren, wovon sie spricht. Sie hat die Fähigkeit, über schwierige spirituelle Themen in einer einfachen Sprache zu schreiben. Zugleich ist ihre Sprache voller Humor und Frische. Teresa zeigt einen Weg und hat zugleich Verständnis für unsere Trägheit und Menschlichkeit. Sie schreibt von Gott als eine, die ihn erfahren hat. Sie lädt uns ein, dem eigenen Gefühl zu trauen und Gott als den wahren Freund zu sehen, der unsere tiefste Sehnsucht erfüllt. Teresa hat das Gebet verstanden als Gespräch mit einem Freund. Gott war ihr nahe. Jesus war ihr vertraut. Und dennoch hat sie ein Gespür für die Andersartigkeit Gottes. Sie vereinnahmt Gott nicht für sich. Aber sie weiß sich immer und überall umgeben von Gottes heilender und liebender Nähe. In Gottes Nähe fühlt sie sich lebendig und frei. Da traut sie ihren eigenen Gefühlen.
Gotteserfahrung ist also eine einladende Erfahrung von heilender und liebender Nähe. Wenn du Gott als die eigentliche Wirklichkeit wahrnimmst, wenn Gott dir aufgeht in deinem Herzen, dann kannst auch du sagen: „Nur Gott genügt.“ Nur Gott erfüllt deine
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