Vertrauen
am Kreuz offenbarte bedingungslose und vollkommene Liebe Jesu die Befreiung von der Angst, wir könnten gerichtet und verurteilt werden. Luther hat damit die Erfahrung des hl. Paulus aufgegriffen, der in seiner pharisäischen Zeit seinen Wert vor Gott durch Erfüllung des Gesetzes beweisen wollte und dann in Christus erfahren hat: Nichts kann „uns scheidenvon der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm 8,39).
Die Liebe, die die Furcht vertreibt, bezieht sich sowohl auf die Liebe als eigene Kraft, die mich durchdringt, als auch auf die Liebe, die ich von Gott und vom Menschen her erfahre, und auf die Liebe, die ich Gott und den Menschen gegenüber empfinde. Wer sich von Gott und den Menschen bedingungslos geliebt weiß, der hat keine Angst mehr vor Ablehnung, vor Verlassenwerden, vor Scheitern. Ja selbst der Tod macht ihm keine Angst mehr, wenn er weiß, dass der Tod ihn nicht dieser Liebe berauben kann. Die Liebe ist stärker als der Tod. Und wer einen Menschen zutiefst liebt, der spürt in diesem Augenblick keine Angst. Natürlich wird die Angst dennoch immer wieder an sein Herz pochen. Er hat Angst, den, den er liebt, zu verlieren. Er hat Angst vor Krankheit und Tod. Aber im Gefühl der Liebe selbst gibt es keine Angst. Die Angst taucht in uns auf, sobald wir über die Liebe reflektieren. Doch im Nachdenken über meine Liebe bin ich nicht mehr in der Liebe. Kein Mensch kann immer in der Liebe bleiben. Daher werden wir immer wieder auch von Ängsten heimgesucht. Sobald wir aber ganz in der Liebe sind und uns selbst darin vergessen, ist in unserem Herzen auch kein Raum mehr für die Angst. Mir erzählte ein Priester, der von vielen Ängsten heimgesucht wurde, er habe für einen kurzen Augenblick die Erfahrung absoluter Angstfreiheit gemacht. Das war für ihn eine Gotteserfahrung. Wenn ich Gott und Gottes Liebe erfahre, dann ist in diesem kurzen Augenblick die Angst aufgelöst. Dann erst verstehe ich, was Johannes meint mit dem Wort: „Furcht gibt es in der Liebe nicht.“ (1 Joh 4,18).
Gipfel der Liebe
G ipfel der Liebe ist die mystische Erfahrung des Einswerdens zwischen Gott und Mensch. In der Zuwendung zu Gott und in der Zuwendung Gottes zu ihm erfährt der Mensch eine Liebe, die ihn verwandelt und beglückt. Das Ziel dieser Liebe, in der der Mensch die Einigung mit Gott erfährt, ist die Erhöhung des Menschen zu Gott, seine Vergöttlichung. Die Angst, die die Distanz Gottes zum Menschen betont, führt so letztlich zur mystischen Erfahrung und zur Heilung des Menschen. Seine Trennungsangst wird überwunden, ohne dass sie bagatellisiert wird.
Der hl. Benedikt mahnt seine Mönche: „Gott sollen sie in Liebe fürchten.“ (RB 72,9) Im Kapitel über die Demut hatte Benedikt von der Gottesliebe gesprochen, „die vollkommen ist und die Furcht vertreibt.“ (RB 7,67) Benedikt sieht 12 Stufen der Demut. Wer diese Stufen ersteigt, der lässt die Furcht hinter sicher und gelangt zur reinen Liebe. Beide Pole gehören zusammen, damit die Liebe immer tiefer wird. Die Aufforderung Benedikts scheint in Gegensatz zu stehen zu der Aussage des Johannes: „Furcht gibt es nicht in der Liebe.“ Doch beide Aussagen stimmen. Auf der einen Seite überwindet die Liebe alle Furcht. Auf der anderen Seite vertieft die Furcht die Liebe. Sie gibt der Liebe ihre wahre Kraft. Wir können die Spannung zwischen Furcht und Liebe nie ganz auflösen. Die Spannung gibt der Liebe ihre wahre Kraft. Aber es ist dann eine Liebe, die nicht von Angst bestimmt ist, sondern eine Liebe, die die Furcht als inneres Moment in sich trägt und sie gerade so überwindet.
Wenn wir die Furcht des Herrn so verstehen, dann ist sie wirklich der Anfang der Weisheit. Sie führt zu einem Glauben, der uns ein Gespür für den ganz anderen Gott gibt, aber zugleich die Sehnsucht nach der unendlichen Liebe Gottes in uns weckt. Diese Art von Gottesfurcht befreit uns von Menschenfurcht. Wenn wir Gott fürchten, verliert sich die Angst vor den Menschen und ihrem Urteil. So hat es schon der alttestamentliche Schriftsteller Jesus Sirach gesehen: „Wer den Herrn fürchtet, verzagt nicht und hat keine Angst, denn der Herr ist seine Hoffnung.“ (Sir 34, 16) Genauso wie die Furcht zum religiösen Leben gehört, so gehört sie auch zur Psychologie des Menschen. Sie hat eine positive Funktion für die psychische Gesundheit des Menschen. Psychologen haben in letzter Zeit immer wieder betont: Die Angst gehört zum Menschen. Es geht nie darum, die Angst
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