Vertraute der Sehnsucht (German Edition)
hatte.
Die dunkelhaarige Frau reichte ihm ein kleines Fläschchen mit einer klaren Flüssigkeit und verließ dann still den Raum. Er schraubte den Verschluss ab und fischte eine der beiden violetten Linsen heraus, die in dem Behälter schwammen. Mira konnte kaum atmen, als er ihr Gesicht in seine Hände nahm und ihr vorsichtig die Linsen einsetzte.
Sobald sie saßen und ihre mächtige Gabe dämpften, blickte er mit seinen haselnussbraun schimmernden Augen endlich zu ihr. Oh Gott … kein Zweifel, er war es wirklich. Unter der dichten kupferbraunen Mähne waren seine Augen tief und intensiv. Seine Wangen wirkten schmaler als früher, wie gemeißelt und stark, sein eckiges Kinn gerahmt von einem Kinnbärtchen, das seinem gut aussehenden Gesicht etwas Dunkles und Mysteriöses verlieh. Aber in diesem verwegenen Bart war sein Mund grimmig und nicht zu deuten.
Er hatte keine Worte des Trostes für sie. Keine Erklärung dafür, warum er unter Killern, Dieben und Verrätern lebte. Genau bei den Feinden, gegen die er gekämpft hatte, als er ein Mitglied des Ordens gewesen war.
Mira starrte ihm mit gequälter Verwirrung in die Augen. Ein Teil von ihr war euphorisch und einfach nur bodenlos erleichtert, Kellan am Leben zu sehen, so unbestreitbar real und lebendig. Ein anderer Teil von ihr war völlig verzweifelt, erkannte, dass sein Tod ein Irrtum gewesen war – oder schlimmer noch, eine Lüge. Und der größere Verrat war, ihn ausgerechnet hier unter diesen Leuten zu sehen, die er als Freunde, sogar als Familie behandelte, während sie ganz alleine um ihn trauern musste.
»Du bist gestorben«, gelang es ihr schließlich zu krächzen. »Ich war dort. Vor acht Jahren, fast genau auf den Tag, Kellan. Ich habe zugesehen, wie du in diese Lagerhalle gerannt bist. Wie sie explodiert ist. Ich habe immer noch Splitternarben von den Trümmern, die in jener Nacht aus dem Himmel fielen. Ich kann immer noch den Rauch und die Asche des Brandes riechen.«
Er starrte sie in einem schrecklichen Schweigen an.
»Von dem Gebäude blieb nichts übrig«, fuhr sie fort. »Von dir blieb nichts übrig, Kellan. Oder das hast du mich all diese Zeit glauben lassen. Ich habe um dich geweint. Ich tue es immer noch.«
Seine Augen blieben auf Mira gerichtet, aber er sprach kein einziges Wort. Bat sie nicht um Vergebung. Beteuerte nicht, dass das alles ein unvermeidlicher Fehler gewesen war.
Sie wäre versucht gewesen, ihm zu glauben. So wie ihr jetzt das Herz in der Brust zerbrach, hätte sie jede Erklärung akzeptiert, die er ihr gab. Aber er gab ihr nichts.
Sein Schweigen brachte sie fast um. »Hast du mir gar nichts zu sagen?«
Er schluckte. Senkte den Blick. »Es tut mir leid, Mira.«
Als er sie wieder ansah, waren seine Augen düster. Er meinte es ehrlich, soweit sie das heute beurteilen konnte. Aber sein Blick war unnachgiebig fern.
»Es tut dir leid.« Angesichts dieser kühlen, schlichten Antwort zerfiel ihr zerbrochenes Herz zu Asche. »Was genau?«
»Alles«, antwortete er. »Und das, was ich immer noch tun muss.«
Damit richtete er sich auf. Entfernte sich vom Bett. Von ihr.
»Candice«, rief er zur offenen Tür. Sie erschien sofort, hielt sich für seinen Befehl bereit. »Überzeug dich davon, dass Vince den Jeep aufgetankt hat, wie ich’s ihm gesagt habe.« Kellan hielt inne und warf einen kurzen Seitenblick in Miras Richtung. »Ich fahre zu Sonnenuntergang raus und kümmere mich um die Komplikationen von diesem Mist heute.«
Also das war sie heute für ihn. Nichts.
Eine Komplikation.
Eine unangenehme Behinderung seiner Pläne.
Und jetzt dachte sie an etwas zurück, was Candice vorhin gesagt hatte – nachdem Mira gemeint hatte, dass sie verrückt sein mussten, sie heute Nacht laufen zu lassen und anzunehmen, dass sie nicht später mit Verstärkung zurückkam.
Sie würden Vorkehrungen treffen.
Mira hatte nicht gewusst, dass die Rebellen einen Stammesvampir auf ihrer Seite hatten. Jetzt verstand sie. Und wenn sie auch nicht dachte, dass Kellan so tief sinken würde, sie zu töten, hatte er andere Möglichkeiten um sicherzugehen, dass sie ihn nie wiederfand.
Das ganze Ausmaß seines Verrats wurde ihr bewusst mit einem Schmerz, den sie kaum ertragen konnte. Er verhärtete etwas in ihr, verschlang ihre Liebe zu ihm, die sie so lange mit sich herumgetragen hatte, und spuckte den Kummer aus.
Als sie Kellan jetzt ansah, den Mann, der er geworden war – ein Mann, der sich gerade zu ihrem Feind erklärt hatte –, verwandelten
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