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Vertraute Schatten

Vertraute Schatten

Titel: Vertraute Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kendra Leigh Castle
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kleinen Sommersprosse auf der Spitze, Lippen wie Rosenknospen, fein geschwungene Augenbrauen, lange dunkle Wimpern. Ihr Gesicht hatte eine perfekt ovale Form, betont durch hohe Wangenknochen. Und in diesem Gesicht konnte er die Gefühle lesen wie in einem Buch.
    Irgendwie fand Damien ihre Reaktion auf ihn erfrischend. In seiner Branche war Aufrichtigkeit, in welcher Form auch immer, eine Seltenheit.
    »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden, aber wenn Sie nicht gehen, dann gehe ich.« Als sie sich erhob, packte Damien sie am Arm und drückte gerade so fest, dass sie es unangenehm spürte.
    Er beugte sich vor, damit nur sie ihn hören konnte. »Das glaube ich kaum, meine Liebe. Zum Glück für Sie bin ich heute Abend in Gönnerlaune. Unterhalten Sie mich eine Weile, dann lasse ich Sie vielleicht in Frieden … vorläufig. Was sagen Sie zu meinem Angebot?«
    Damien beobachtete, wie sich in ihr Empörung, dann Unsicherheit und schließlich verhaltene Resignation abzeichneten. Was für ein Gesicht, dachte er verwundert. Als Lügnerin wäre sie eine glatte Fehlbesetzung. Und das war ein Problem für sie, denn wer würde sie nicht die ganze Zeit anschauen? Ihm fiel nichts ein, was je betrachtenswerter gewesen wäre.
    Der Gedanke kam ihm ungelegen und verstörte ihn. Damien wischte ihn beiseite und konzentrierte sich wieder auf die Hauptsache. Er hatte schon vieles gesehen, das betrachtenswert gewesen war, rief er sich entschlossen in Erinnerung. Jedenfalls wenn es um Frauen ging. Und Frauen wie diese, die so offensichtlich unschuldig war, waren noch nie sein Fall gewesen. Zu viel Mühe für zu wenig Lohn.
    Langsam lockerte er seinen Griff, und die Frau sank wieder auf den Stuhl. Widerstrebend ließ Damien sie los. Seine Hand kribbelte, dort, wo er sie berührt hatte. Für einen kurzen Moment verschwand ihre Verlegenheit, und sie warf ihm einen Blick zu, der so kalt und distanziert war, wie es ihrer Dynastie eigentlich entsprach.
    Flüchtig fragte er sich, ob es klug war, auf diese Art mit einer Grigori zu spielen. Seine Bedenken hielten jedoch nicht lange an. Seit Jahrhunderten hatte er immer getan, was er wollte, und alles in allem war er damit nicht schlecht gefahren. Warum sollte er das jetzt ändern?
    »Ich bleibe. Vorläufig. Aber unterhalten werde ich Sie nicht, Sie … Kater.« Ihr Blick fiel auf Damiens rechtes Schlüsselbein. Da, verborgen unter dem Hemd, befand sich das Zeichen seiner Blutlinie, drei ineinander verschlungene schwarze Katzen in der Form des keltischen Kreises. Es brandmarkte ihn als Cait Sith, als Katzengestaltwandler.
    Darauf hätte sie eigentlich nicht so rasch kommen dürfen.
    »Woher haben Sie das gewusst?«, fragte Damien.
    Die Frau zuckte mit den Schultern, die ihr kleines, ärmelloses schwarzes Kleid freiließ. Instinktiv schaute er auf ihren Hals. Ein Fehler, wie er sogleich wusste. Von den Wundern, die dieses Kleid so exponiert herausstellte, hätte er sich wochenlang ablenken lassen können. Mit einiger Anstrengung wandte er den Blick ab und schaute ihr wieder in die Augen.
    »Ich bin gut darin, Leute zu durchschauen«, antwortete sie zurückhaltend. »Das habe ich gelernt.«
    »Tatsächlich? Und was hat mich verraten?«
    Sie drehte den Kopf und schaute ihren Drink an. »Spielt das eine Rolle? Sie machen sich doch nur wieder lustig über mich, egal was ich sage.«
    Der Vorwurf verblüffte ihn … vor allem, weil sie vermutlich recht hatte. Und dieses Wissen beunruhigte ihn, warum auch immer.
    »Das werde ich nicht. Ich bin wirklich neugierig.«
    Sie schaute ihn nicht einmal an. »Das bezweifle ich. Ihnen ist bloß langweilig. Verschwinden Sie.«
    Damien betrachtete ihr Gesicht und sah den Frust, der vermutlich darin begründet lag, dass sie seit Wochen versuchte, sich irgendwie in der modernen Vampirgesellschaft zurechtzufinden. Diese Erkenntnis stimmte ihn ein wenig weicher. Den Grund dafür zu suchen und zu analysieren versuchte er erst gar nicht, aber selbst für seine eigenen Ohren klang seine Stimme seltsam, als er sie zu beschwichtigen versuchte.
    »Ich werde nicht gehen, bis Sie es mir verraten. Aber wenn Ihnen das lieber ist, kann ich es auch gern aussitzen.«
    Sie sah ihn durch ihre langen dunklen Wimpern an, und in ihrem Blick lag so viel Weltschmerz, dass er sie am liebsten auf seinen Schoß gezogen und gehätschelt hätte. Die Vorstellung hatte tatsächlich etwas Verlockendes … aber Damien war sich ziemlich sicher, dass diese Geste sie wieder an den Anfang zurückgeworfen

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