Vertraute Schatten
hatte gerade einen weiteren Drink bestellt, als sie aus den Augenwinkeln heraus am Eingang eine Bewegung wahrnahm. Neugierig drehte sie den Kopf. Sie war sich mittlerweile ziemlich sicher gewesen, dass der Mann, auf den sie wartete, nicht mehr kommen würde. Aber statt eines weiteren Pärchens oder einer Clique junger Sterblicher, für die der Abend um diese Zeit erst anfing, erblickte sie … ihn.
Er spazierte mit der Anmut eines Jägers herein, als gehörte der Laden ihm. Ariane registrierte seine breiten Schultern, die dunkelblonden, vorne ein wenig hochgegelten Haare, die makellose Jeans, das perfekt sitzende Sportjackett über dem weißen Button-down-Hemd mit offenem Kragen. Alles Merkmale des Typs, der ihr allmählich vertraut wurde: ein junges Blaublut mit altem Geld. Wären da nicht die winzigen Anzeichen gewesen, die nur einem Vampir auffielen, wenn er seinesgleichen begegnete. Er war einfach ein bisschen zu blass, ein bisschen zu anmutig … und mehr als nur ein bisschen zu gut aussehend, um ein Sterblicher zu sein. Als er zum Jazztrio hinüberschaute, betrachtete Ariane ausführlich sein Profil. Der Anblick gefiel ihr.
Von allen Vergnügungen, die sie außerhalb der Wüste bisher entdeckt hatte, war der Anblick der scheinbar endlosen Vielfalt männlicher Vampire einer ihrer liebsten. Vor allem, weil man ihr so oft vorgebetet hatte, dass die Grigori ausschließlich Krieger wollten. Sie war große, muskelstrotzende Kerle gewöhnt, die aussahen, als würden sie sogar zu Hause das Schwert oder die Axt schwingen. Ihr war gar nicht klar gewesen, dass sich nur die Grigori auf dieses reduzierte Männerbild beschränkten. Der Neuankömmling entsprach eher ihrer Vorstellung von einem hübschen Märchenprinzen, über die sie ab und zu Geschichten gelesen hatte. Dann blieben seine kalten blauen Augen, die suchend den Raum überflogen, an ihr hängen. Sofort wurde Ariane noch etwas klar: Dieser Vampir war gefährlich.
Als sich ihre Blicke trafen, sah sie in seinen Augen nichts als eiskalte Berechnung. Er war auf der Suche nach etwas oder jemandem, und sie war es nicht. Jedes Gefühl von Wärme, das sie bei seinem Anblick empfunden hatte, verflog … und dennoch konnte sie den Blick nicht abwenden.
Er offenbar ebenso wenig. Er schaute kurz weg, aber gleich wieder zu ihr hin. Ariane wusste nicht, wieso sie ihn eigentlich so anstarrte. Ihr war sofort klar gewesen, dass dies nicht der Mann war, auf den sie wartete. Den hatte man ihr als zierlich und dunkelhaarig beschrieben. Noch eine Zufallsbekanntschaft würde sie nicht weiterbringen, schon gar nicht eine mit einem Vampir, der aussah, als ob er ihr ebenso gut einen Dolch in den Hals bohren wie ein paar freundliche Worte mit ihr wechseln könne. Aber irgendetwas zog sie zu ihm hin. Und während sie ihn noch musterte, zog er spöttisch fragend eine Augenbraue hoch, was ihren Ersteindruck kaum zu mildern vermochte, doch sein kalter Blick schien daraufhin etwas wärmer zu werden.
Sie spürte, wie sie errötete, und senkte, von dieser Reaktion äußerst unangenehm berührt, sofort den Kopf. Stirnrunzelnd betrachtete sie ihr Glas und holte erst einmal tief Luft. Auch wenn sie behütet aufgewachsen war, war sie doch nicht so naiv. Bei ihrer Mission war kein Platz für die Bedürfnisse ihres Körpers. Die hatte sie nun schon so lange in den Hintergrund gedrängt, da kam es auf ein paar Monate oder Jahre mehr auch nicht an.
Urplötzlich war dieser Gedanke entsetzlich deprimierend.
Um sich zu trösten, wollte sie gerade den Rest ihres Martinis hinunterkippen, da hörte sie eine warme, einfühlsame Stimme direkt an ihrem Ohr, spürte das sanfte Kitzeln eines Atems, der all ihre Nerven in höchste Alarmbereitschaft versetzte, in Vorfreude auf die kommende Berührung.
Gefährlich. Allerdings, das war er. Und Ariane fragte sich, wie schwierig es wohl sein würde, dieser Art Gefahr zu widerstehen.
Damien betrat das
Shades of Blue
in der Absicht, Thomas Manon zu finden, sich von ihm auf einen Drink einladen zu lassen, ihm die eine oder andere Information aus der Nase zu ziehen und den Rest der Nacht mit einer willigen Frau etwas Dampf abzulassen.
Unglücklicherweise, und das passte zu Damiens aktueller Pechsträhne, war Manon nirgends zu sehen. Stattdessen ergab ein kurzer Rundblick einen Haufen hirnloser Jugendlicher, ein mittelmäßiges Jazztrio und ein sagenhaftes Paar Beine, das zu einer Vampirin auf einem Barhocker gehörte. Normalerweise hätte er die Beine im
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