Vertraute Schatten
Wir werden nicht lange allein bleiben, und für den Kampf müssen wir mehr sein als nur du und ich. Lucan sieht gerade nach den anderen.
Ariane fühlte sich nicht in der Lage, die Hände von der Stelle auf Damiens Brust zu nehmen, unter der sie sein Herz schlagen spürte.
Was tust du hier? Woher wusstest du?
Damien trat einen Schritt zurück und zog eine kleine Stoffrolle aus der Innentasche seines Mantels. Als er sie aufrollte, kam eine Sammlung Dietriche zum Vorschein. Er betrachtete das Schloss an der Zellentür, wählte zwei Dietriche aus und machte sich mit geübten Händen an die Arbeit.
Wir haben Glück. Für moderne Schlösser sind diese Dietriche nicht geeignet. Ich wusste Bescheid, weil Lucan plötzlich auftauchte. Der wusste wiederum Bescheid, weil er so etwas wie eine mentale Warnung von Sammael erhalten hatte. Du bist ausgetrickst worden, Kätzchen. Sariel ist gar nicht erst von hier aufgebrochen. Stattdessen hat er sich euch alle auf dem Silbertablett anliefern lassen. Wusstest du, dass Lucan den Dämon über tausend Jahre lang bewacht hat? Kein Wunder, dass er immer so schlecht drauf ist.
Damiens so offensichtlich unbeschwertes Geschwätz in ihrem Kopf zu hören half ihr, sich zu entspannen und wieder zu Kräften zu kommen. Ihre Waffen hatte man ihr weggenommen, und sie war noch immer ziemlich benebelt. Sie wollte lieber gar nicht erst wissen, wie man sie so lange bewusstlos gehalten hatte. Sariel musste sich sehr viel tiefer mit Chaos eingelassen haben, als selbst Sam sich das hatte vorstellen können.
Ist Sam auch hier unten? Sind die anderen alle noch am Leben?
Damien richtete den Blick auf sie, und sofort war ihr klar, dass der leichte Ton, in dem er mit ihr geplaudert hatte, sie nur hatte beruhigen sollen. Die Sorge, die sie in seinen Augen sah, verschlug ihr schier den Atem.
Ich weiß es wirklich nicht. Die Einzige, die mich interessiert hat, warst du.
Mit einem leisen Klick sprang das Schloss auf, und im nächsten Moment lag sie in Damiens Armen. Er zog sie so fest an sich, dass sie kaum noch Luft bekam, presste das Gesicht in ihre Haare, und jetzt endlich sprach er auch, leise und direkt an ihrem Ohr.
»Ich hatte gedacht, ich hätte dich verloren.«
Sie schmiegte sich an ihn und genoss es, seinen starken Körper zu spüren. Bei dieser Berührung lösten sich alle Zweifel über seine Gefühle für sie in Luft auf. Egal ob er die Worte jemals sagen würde oder nicht – was er tat, verriet ihr alles, was sie wissen musste.
»Irgendwie hätte ich einen Weg zu dir zurück gefunden«, flüsterte sie.
Er lachte, doch es klang eher, als würde er mühsam nach Luft schnappen. »Wie auch immer, ich bin trotzdem lieber hier, damit es auch sicher klappt.« Er legte die Stirn an ihre, und diese sanfte, zärtliche Geste überraschte sie mehr als alles andere.
»Ich liebe dich«, sagte er.
Ariane versagte die Stimme. Als Antwort konnte sie nur die Lippen fest auf seine pressen und ihm so alles mitteilen, was sie ihm gerade mit Worten nicht sagen konnte. Er schlang die Arme um sie und zog sie noch einmal fest an sich, bevor er sie losließ und bei der Hand nahm.
Lass uns die anderen suchen.
Sie traten hinaus in einen Gang mit niedriger Decke, der aus großen, verwitterten Feldsteinen gebaut war. Die Luft war kühl und knochentrocken – die Luft der Wüste. Auf der einen Seite des Gangs befand sich eine Reihe Zellen, die alle aussahen wie die, in die man sie gesperrt hatte. Wie viele hatten die Ältesten hier unten gefangen gehalten, um den Hunger ihres Bruders zu stillen? Die ganze Zeit hatten sie und die anderen über diesem Verlies gelebt und nicht den leisesten Schimmer gehabt, was ihre Dynastie da trieb … und was sie in Wirklichkeit waren.
Lucan kam ihnen entgegen. Seine Flügel hingen herab, die Spitzen berührten fast den Boden. Ariane konnte seine Stimme laut und deutlich in ihrem Kopf hören.
Wie ich sehe, hat die Wirkung der Medikamente nachgelassen. Gut so. Die anderen sind noch nicht so weit.
Er gab Damien ein Zeichen, und dieser machte sich rasch daran, die übrigen Zellen aufzuschließen. In dem stillen Gang hatte Ariane auf einmal das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden, und dieses Gefühl war so intensiv, dass sich ihr die Nackenhaare aufstellten. Doch immer, wenn sie sich umdrehte, war nichts zu sehen. Damien arbeitete so gut wie geräuschlos, dennoch schien es ihr, als würde auch das kleinste Geräusch laut im Gang widerhallen.
In jeder der Zellen lag einer der
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