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Vertraute Schatten

Vertraute Schatten

Titel: Vertraute Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kendra Leigh Castle
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verlassen, und sie brauchte ihren ganzen Mut und noch viel mehr, wenn sie ihren Freund wirklich finden wollte. Abgesehen davon, dass sie sich auch nicht erwischen lassen durfte. Die Grigori waren auf Deserteure nicht gut zu sprechen. Sariel würde sie wohl kaum noch einmal in sein Schlafzimmer einladen, falls sie jemals hierher zurückkehrte.
    Nicht in der kurzen Zeit, die dann bliebe, bevor sie für immer verschwand.
    Nein. Das wird nicht passieren. Ich schaffe das. Und wenn sie ihre Meinung nicht ändern, selbst wenn ich Sam finde, dann bleibe ich eben weg und schlage mich allein durch. Lebe ein richtiges Leben. Irgendwie.
    Mit neuer Zuversicht trat Ariane auf das schmale Fenstersims. Ein Glück, dass ihr Zimmer zur Wüste lag und nicht zum Hof! Der Mond war ihr einziger Zeuge. Sie schloss die Augen, holte tief Luft und konzentrierte sich auf jene Fähigkeit, die sie nur so selten hatte anwenden können. Sie spürte, wie sie aus ihrem Rücken wuchsen, durch ihre Haut glitten, so wie Wasser einen Fluss hinabrinnt. Ihre Flügel.
    Ariane breitete sie aus, gönnte sich einen kurzen Blick darauf und bewunderte die Blau-, Lavendel- und Silbertöne – die Farben des Zwielichts. Meine Güte, wie gut es sich anfühlte, sie zu befreien, diesen Teil von ihr zu befreien. Sie hob die Hände wie ein Kind, das auf einem Schwebebalken balanciert, oder wie eine Tänzerin, die die Anfangspose für ihren Tanz einnimmt.
    Dann sprang sie in die Dunkelheit und flog mit rauschenden Flügeln davon.

2
    Damien Tremaine lehnte sich lässig an den Schreibtisch des Meisters der Shades, prüfte den Brandy in seinem Cognacschwenker, nicht ohne eine große Show abzuziehen, hob dann eine Augenbraue und schaute den Mann, der mittlerweile seit gut zweihundert Jahren sein Chef war, fragend an.
    »Ein Grigori?«, wiederholte er, obwohl er seinen Boss ganz genau verstanden hatte. Er wunderte sich, wie er zu der Ehre kam.
    Drake nickte. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er heute Abend nicht in der Stimmung für Damiens markige Kommentare war. Eigentlich schade, denn die Fähigkeit, markige Kommentare vom Stapel zu lassen, bereitete Damien von allen Eigenschaften, die man ihm so nachsagte, die größte Freude.
    »Ja, ein Grigori. Und bevor du jetzt anfängst rumzumeckern, wie gruselig sie sind, möchte ich noch einmal betonen, dass dies die Gelegenheit ist, auf die ich gewartet habe, seit ich mein Unternehmen angefangen habe.«
    Damien schnaubte. »Mmm. Tausend Jahre ohne auch nur einen Auftrag dieser Dynastie, herumzuspionieren, jemanden umzubringen oder sonst irgendeine Drecksarbeit zu erledigen. Ganz schön unverschämt. Und wieso sind dir die Typen gleich noch mal so wichtig? Ach, und fürs Protokoll, ja, ich halte sie tatsächlich für gruselig. Und außerdem für verdammte Arschlöcher. Eine Kombination, mit der ich nicht so gern zu tun habe. Hast du eine Vorstellung, wie ihre Frauen aussehen? Haben sie überhaupt Frauen? Aber vielleicht
sind
ein paar von den wenigen, die einem überhaupt unter die Augen kommen, Frauen und man sieht es ihnen nur nicht an.«
    Bei dem Gedanken verzog er das Gesicht und kippte die Hälfte des Brandys hinunter. Das Zeug stellte ihn nicht halb so zufrieden wie eine Flasche Null negativ, aber er genoss den Geschmack und die damit verbundenen Erinnerungen. Genauer gesagt, einen Teil der Erinnerungen.
    »Wieso kredenzt du mir immer dieses Gesöff und glaubst auch noch, ich würde es nicht merken, Drake?«
    »Falsch. Ich weiß sehr gut, dass du das merkst, Damien. Über deine Reaktion kann ich mich immer wieder amüsieren. Aber um deine Frage zu beantworten: Neue Geschäftszweige sind immer gut. Und gerade du solltest das zu schätzen wissen, weil dir die Eröffnung eines solchen vor nicht allzu langer Zeit deinen Arsch gerettet hat.«
    Damien grinste Drake freudlos an und trank dann den Rest Brandy in einem Zug aus. Wenn er schon dem Geschmack nichts abgewinnen vermochte, konnte er wenigstens den Schwips genießen. Die Freude über seinen kleinen Triumph hatte sich bedauerlicherweise längst verflüchtigt. Das passierte eben, wenn man ein Adrenalin-Junkie war. Kein Kick kam an den vorherigen heran, weder an Intensität noch an Dauer.
    Die emotionale Abgestumpftheit, die er sich zwischen den einzelnen Jobs angewöhnt hatte, war ein seltsamer Segen, aber mittlerweile war er dankbar dafür.
    Alistair Drake saß hinter seinem monströsen Schreibtisch und beobachtete ihn aus Augen, die so dunkelblau waren, dass sie fast

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