Verwechseljahre: Roman (German Edition)
schlechten Eltern. Drei Generationen heulten herzerweichend in die Kamera. Die Familienähnlichkeit sah man schon an den identischen Rotznasen.
Die Täter, Emanuele C. (Bild, Balken) und Giorgio S. (Bild, Balken), so hieß es, seien als Auftragskiller schon lange hinter dem Opfer, Roman S. (Bild, kein Balken) her gewesen, der hohe Spielschulden habe. Nachdem Roman S. zum wiederholten Mal bei seinem angeblichen Erzeuger, einem hohen Geistlichen, Nuntius B. (Bild, Balken) in Rom aufgetaucht sei und bei diesem ein ihm rechtlich gar nicht zustehendes »Erbe« eingefordert habe, sei dem erzürnten Gottesmann der Kragen geplatzt. Er habe die Vaterschaft niemals anerkannt, zumal Roman S. nach seiner Adoption bei einem ganz anderen Vater aufgewachsen sei. Dieser, ein bekannter Reeder (Bild, kein Balken), sei allerdings nicht für ein Interview zu erreichen gewesen. (Kein Bild, aber schätzungsweise Perlenkette, Strickensemble, Föhnfrisur.) Auch der angebliche Erzeuger im Vatikan sei nicht zu sprechen gewesen. Dort versuche man so pikante Familienangelegenheiten anscheinend mit südeuropäischem Temperament zu lösen, lau tete der süffisante Kommentar. Die Mutter, Carin B. (Bild, Mitte), sei ganz zufällig in der Nähe gewesen und habe dem Verfolgten durch beherztes Eingreifen beigestanden. Obwohl sie einen Kin derwagen mit Enkel Ben (fünf Monate, Bild links) dabeigehabt habe, sei sie den Tätern auf den Fersen geblieben und habe sich mithilfe einer Fahrradklingel (Pfeil zum Kinderwagengriff) und schriller Stimme Aufmerksamkeit verschafft. Insgesamt hätten siebzehn Leute die Polizei gerufen. Dass es wirklich Zufall gewesen sei, dass die Frau just in der Sekunde dieselbe Rolltreppe benutzte wie ihr vor den römischen Gangstern flüchtender Sohn, wage man allerdings zu bezweifeln: »Blut ist nun mal dicker als Wasser.«
Wir lasen diesen Bericht gemeinsam am Frühstückstisch, Silke, Roman und ich.
Natürlich hatte ich ihn in seinem mitgenommenen Zustand mit nach Hause genommen. Weder hatte er Geld für ein Hotel noch die Kraft, weiter durchzuhalten. Seit Tagen war er vor diesen beiden Typen quer durch Europa geflohen. Halb verhungert, halb erfroren, komplett am Ende war er erstmals – endlich! – zerknirscht und voller Einsicht.
Silke hatte ihn reingelassen und ihm das Wohnzimmersofa als Gästebett hergerichtet.
Ich selbst wohnte längst nicht mehr in dem kleinen Hotel an der Kreuzung, sondern war in das Klinkerhäuschen gezogen. Es war zwar etwas eng, aber ich schlief in Bens Kammer, und das ging prima. So musste Silke nachts nicht mehr aufstehen, und ich holte mir den kleinen Kerl einfach ins Bett, wenn er weinte. Auf diese Weise bekamen wir beide unsere Portion Nestwärme.
Roman war kleinlaut und voller Reue. »Ich will mich doch ändern, glaubt mir! Die Spielsucht ist wie ein böses Tier, das mich in den Klauen hat …«
Ich betrachtete ihn voller Mitgefühl.
Silke schwieg und verzog das Gesicht. »Die beiden aus Rom sind bestimmt nicht die Einzigen, die hinter dir her sind«, sagte sie sachlich. »Uns kann hier jederzeit die Scheibe eingeworfen werden.«
»Hierbleiben kannst du auf Dauer nicht«, sagte ich. »Du darfst Silke und die Kinder nicht gefährden.«
Romans Stimme klang so verzweifelt, dass sich mein Herz schmerzhaft zusammenzog.
»Ich würde so gern ans andere Ende der Welt fliehen!« Roman raufte sich die Haare. »Am liebsten würde ich mich in Luft auflösen!«
Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Silke angestrengt ausatmete. Sie konnte diese Beteuerungen nicht mehr hören.
»Sie werden mich überall finden!«, jammerte Roman verzweifelt. »Da kann ich mich gleich erschießen!«
»Nun mach mal halblang!«, hörte ich mich wie Mutter sagen. »So schnell schießen die Preußen nicht.«
»Es reicht, wenn du gehst«, sagte Silke kühl. »In ein Land, in dem es keine Spielautomaten gibt!«
»Am besten in eines, in dem es kein Geld gibt«, sinnierte ich laut.
»In den Dschungel oder so«, sagte Roman düster. »Aber dann könnte ich meine Kinder nie sehen!« Seine Stimme kippte. »Ich brauche euch doch! Ich brauche euren Halt!«
Silke schenkte ihm nur einen langen, traurigen Blick. Sie war sichtlich mit ihrem Latein am Ende.
Verunsichert betrachtete ich meinen Sohn. Er zeigte Einsicht! Er war von seinem hohen Ross heruntergekommen! Muss man denn da als Mutter nicht helfen? Wieder sah ich Bilder von Müttern vor mir, die ihre kriminellen Söhne sogar noch im Gefängnis besuchten und zu ihnen
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