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Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Titel: Verwechseljahre: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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nicht ganz oben, als ich schon das Martinshorn hörte: Tatüüü, tataaaaa. Dann sah ich mehrere Polizeiwagen mit Blaulicht über den Bahnhofsvorplatz rasen. Diesmal waren es nicht die Wechseljahre. Diesmal war alles echt.
    Die Polizeiwagen bildeten eine Barriere. Sofort war alles hermetisch abgeriegelt. Über Lautsprecher wurden Befehle erteilt. »Hier spricht die Polizei! Bleiben Sie stehen, oder wir machen von der Schusswaffe Gebrauch. Legen Sie sich flach auf den Boden! Arme und Beine auseinander, Gesicht auf die Erde!«
    Bewaffnete Polizisten rannten auf Roman und seine Verfolger zu, und ich stand keuchend da und sah wie in Trance zu.
    »Räh!«, machte Ben beeindruckt.
    »Weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen«, hieß es nun. »Sie behindern die Arbeit der Polizei!« Ich wusste gar nicht, wer ge meint war, war mir aber sicher, dass mein Roman außer Lebens gefahr war. Ich hatte ihn gerettet, das spürte ich.
    In einigen Metern Entfernung lagen drei Männer auf dem Boden. Polizisten knieten auf ihren Rücken. Handschellen wurden angelegt.
    »Weitergehen, gute Frau, bringen Sie mal den Kleinen in Sicherheit!«, sagte ein bulliger Polizist und fasste mich an der Schulter. »Soll ich Sie über die Straße begleiten?«
    »Ich bin doch nicht blind!«, sagte ich.
    »Wer hat denn nun die Polizei gerufen?«, rief jemand, und auf einmal zeigten alle auf mich.
    »Die! Die da!«
    »Sie hat geschrien, die haben ihr Kind!«
    »Stimmt doch gar nicht, es ist ja noch im Wagen!«
    »Räh«, sagte Ben und strampelte mit den Beinen.
    »Ja, was denn nun, gute Frau?« Der Polizist, der mich unbedingt über die Straße begleiten wollte, sprach in sein Funkgerät. »Ich hab hier die Frau, die Alarm geschlagen hat. Macht einen ganz vernünftigen Eindruck, hat ein Baby dabei.«
    Keine drei Sekunden später war ich von mehreren Polizistinnen umzingelt.
    »Was ist denn los? Wie können wir Ihnen helfen?«
    »Die haben meinen Sohn verfolgt«, keuchte ich, und auf einmal merkte ich, wie mich die Kraft verließ. »Meinen Sohn Roman. Die wollen ihn umbringen.«
    »Wir haben alles im Griff.«
    »Beruhigen Sie sich.«
    »Ich BIN ruhig«, sagte ich. »Aber mein Sohn ist in Schwierigkeiten. Er braucht mich.«
    »Lasst mal die Frau durch!«
    »Gasse bilden!«
    Unter Polizeischutz gelangte ich zu den drei Männern, die mit Handschellen gefesselt auf dem Boden lagen. Einer davon war Roman.
    Schäferhunde bewachten sie knurrend. Als Roman den Kopf hob, sah ich die nackte Angst in seinen Augen. Es war Todesangst.
    »Alles ist gut«, sagte ich beruhigend und ging in die Hocke. »Ich bin bei dir.« Ich sah ihm ins Gesicht, und in diesem Moment schloss sich ein Kreis. Ein Kreis aus dreißig Jahren. Er lag hilflos vor mir, und seine fast schwarzen Augen hefteten sich an meine. Alle Arroganz und Kälte, alle Unnahbarkeit waren daraus verschwunden.
    »Mutter?!« Romans Blick drückte Fassungslosigkeit aus.
    Es waren Olivers Augen. Seine erstaunten, großen, schwarzen Augen, die mich fixierten. »Ich bin ja da. Alles ist gut.« Ich strich ihm sanft über die verschwitzten Haare. Genau wie damals. Ich sah mich im Entbindungsheim im Bett sitzen und über seine verschwitzten Haare streichen. Dreißig Jahre hatten sich in Luft aufgelöst.
    »Alles ist gut. Ich bin bei dir«, wiederholte ich beruhigend.
    Die Hunde schnüffelten an mir. Die Polizisten zogen sie weg.
    »Mutter?!« Er sagte nicht: »Carin.« Er sagte: »Mutter.« Und es klang nicht im Mindesten spöttisch, kalt oder sarkastisch. Es klang – dankbar.
    »Wir kriegen das hin, Roman!«, hörte ich mich sagen. »Du bist nicht allein. Ich bin bei dir.«
    »Die zwei Kerle wollen mich fertigmachen!«
    »Nicht, solange ich lebe.«
    »Ja, aber … Wie hast du … Wieso … Woher …«
    Ich zuckte die Achseln. »Mütterlicher Instinkt?!«
    Roman starrte mich an, als wäre ich eine überirdische Erscheinung. (War ich ja auch. Ein gutes Gefühl.)
    »Schau, dein Sohn Ben ist auch hier. Er braucht dich!«
    »Ben!«, wimmerte Roman, der sich immer noch nicht aufrichten konnte, weil ein Polizistenfuß auf ihm stand. »Benni!«
    »Räh«, sagte Ben in seinem Kinderwagen und strampelte mit den Beinen.
    »Wo … Mist, ich kann’s echt nicht fassen. Wo kommt ihr denn auf einmal her?« Erschüttert schlug Roman die Hände vor den Mund, wobei die Handschellen klirrten.
    »Mütter sollten in der Nähe sein, wenn ihre Kinder sie brauchen«, hörte ich mich wie aus weiter Ferne sagen. Ich befand mich immer noch in der

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