Verwesung
vor allem neugierig war. «Jemanden wie ihn trifft man schließlich nicht jeden Tag.»
«Hauptsache, du kommst ihm nicht zu nahe.»
«Keine Angst. Wir sollen alle Abstand halten. Außerdem kann ich mich ja hinter den Polizisten verstecken.»
«Hoffentlich.» Kara lachte nicht. «Wie geht’s Terry?»
«Gut, glaube ich. Wieso?»
«Ich habe gestern Abend Deborah angerufen. Ich habe ja seit einer Ewigkeit nicht mit ihr gesprochen, deshalb dachte ich, ich erkundige mich mal, wie es ihr geht. Sie klang komisch.»
«Inwiefern?»
«Keine Ahnung. Irgendwie abgelenkt. Bedrückt. Sie wollte nicht reden. Ich habe mich gefragt, ob zwischen den beiden wohl alles in Ordnung ist.»
Selbst wenn sie Probleme gehabt hätten, hätte Terry es mir nicht erzählt. So nahe waren wir uns nie gewesen. «Ich hatte kaum Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Er steht allerdings ziemlich unter Druck. Vielleicht ist es nur das.»
«Vielleicht», hatte Kara erwidert.
Unabhängig davon, was in Terrys Privatleben los war, konnte man ihm allmählich den Stress dieser Ermittlung ansehen. Er wirkte gleichzeitig überdreht und erschöpft, was auf zu wenig Schlaf und zu viel Koffein hindeutete. Eigentlich kein Wunder, denn soweit ich das bisher beurteilen konnte, delegierte Simms alles an seinen Stellvertreter. Abgesehen von den Pressekonferenzen, die er unbedingt selbst durchführen wollte. Den Ruhm für die Identifizierung von Tina Williams hatte er eingeheimst, und scheinbar jedes Mal, wenn ich den Fernseher einschaltete, sah ich seine wächserne Miene vor den Blitzlichtern und Mikrophonen. Ein Zitat von ihm wurde ständig wiederholt:
«Der Mann, der für die Morde an Angela Carson, Tina Williams sowie Zoe und Lindsey Bennett verantwortlich ist, sitzt zwar hinter Gittern, aber diese Ermittlung ist noch nicht abgeschlossen. Ich werde nicht ruhen, ehe nicht
alle
Opfer von Jerome Monk gefunden und an ihre Familien übergeben worden sind.»
Ungefähr das Gleiche hatte Simms am ersten Tag im Zelt der Spurensicherung gesagt. Ich fragte mich, ob er schon damals zitierfähige und fernsehtaugliche Texte ausprobiert hatte. Und während sein Vorgesetzter die Kameras umgarnte und zum Aushängeschild der Ermittlung wurde, musste Terry den Großteil der Operation allein organisieren. In seiner Zeit bei der Londoner Polizei war er zwar schon an einigen heiklen Ermittlungen beteiligt gewesen, aber eine solche Aufgabe war neu für ihn.
Ich hoffte, dass er ihr gewachsen war.
Als wir über die Bretter staksten, schaute er erneut nervös auf seine Uhr. «Alles in Ordnung?», fragte ich.
«Und wie! Gleich soll auf mein Kommando der gefährlichste Mann des Landes freigelassen werden, und ich habe immer noch keine Ahnung, warum der Scheißkerl plötzlich mit uns zusammenarbeiten will. Ja, alles ist total in Ordnung.»
Ich musterte ihn überrascht. Er starrte finster zurück und fuhr sich dann mit einer Hand übers Gesicht. «Entschul dige . Ich gehe im Kopf immer wieder alles durch und hoffe nur, dass wir nichts übersehen haben.»
«Du glaubst nicht daran, dass er uns wirklich zeigen will, wo die Gräber sind, oder?»
«Keine Ahnung. Mir wäre jedenfalls wohler, wenn … Ach, scheiß drauf. Bald wissen wir mehr.» Er schaute nach vorn und versteifte sich plötzlich. «Na, super.»
Aus dem Trailer, der als mobile Kantine fungierte, war Sophie Keller mit einem dampfenden Pappbecher gekommen. In dem weiten Overall sah die Psychologin wie ein junges Mädchen aus, das die Arbeitsklamotten ihres Vaters angezogen hatte. Ihr dichtes Haar war mit einem einfachen Bandzurückgebunden und schimmerte von den Tropfen des feinen Nieselregens. An ihrer Seite war ein stämmiger, sympathisch aussehender Mann mittleren Alters, den ich nicht kannte. Die beiden redeten miteinander, doch als Sophie Terry sah, wurde ihre Miene kühl.
Die beiden hatten kein großes Geheimnis aus ihrer gegenseitigen Abneigung gemacht. Entweder mussten sie bei einer früheren Ermittlung aneinandergeraten sein, oder die Chemie zwischen ihnen stimmte einfach nicht, jedenfalls waren sie wie Hund und Katze. Terrys Gesicht wurde zur undurchdringlichen Maske, als wir zu ihnen hinübergingen.
Sophie ignorierte ihn, während sie mich freundlich anlächelte und mir eine Hand auf den Arm legte. «Hi, David. Haben Sie Jim Lucas schon kennengelernt?»
«Jim ist Fahndungsberater der Polizei und hilft uns bei der Suche», fuhr Terry ihr in die Parade. «Er versucht, ein bisschen Ordnung in dieses Chaos zu
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