Verwesung
werden konnte – ein notwendiger Teil meiner Arbeit, aber keiner, der mir Spaß machte. Besonders dann nicht, wenn das Opfer noch ein Mädchen war. Schließlich hatte ich selbst eine Tochter.
Doch Pirie schien keine Skrupel zu haben. «Ich lerne immer gerne dazu», sagte er, während er sorgfältig eine Sehne von einem Knochen löste. «Aber damit gehöre ich heutzutage wahrscheinlich zu einer Minderheit.»
Es dauerte einen Augenblick, bis mir klarwurde, dass er einen Scherz gemacht hatte.
Am Ende konnte relativ problemlos bestätigt werden, dass es die Leiche von Tina Williams war. Die im Grab gefundenen Kleidungs- und Schmuckstücke stimmten mit denen überein, die die attraktive Neunzehnjährige getragen hatte, als sie aus Okehampton verschwunden war, einer Marktstadt am nördlichen Rand des Dartmoors. Obwohl die Kieferknochen zersplittert und die Vorderzähne herausgebrochen waren, gab es noch genug Zähne, sodass ihre Identität durch zahnärztliche Unterlagen zweifelsfrei bewiesen werden konnte. Die Attacke war maßlos, aber keineswegs methodisch gewesen. Entweder hatte Monk nicht gewusst, dass sein Opfer über die Zähne identifiziert werden konnte, oder es war ihm egal gewesen.
Aber vielleicht hatte er auch nicht damit gerechnet, dass die Leiche jemals gefunden würde.
Zu den Erkenntnissen, die wir bereits hatten, konnte ich nur noch wenig hinzufügen. Tina Williams hatte fürchterliche Verletzungen durch stumpfe Gewalteinwirkung erlitten.Die meisten Rippen und das Schlüsselbein wiesen einfache Brüche auf, verursacht durch schnelle, von oben nach unten ausgeführte Schläge, ebenso die Mittelhand- und Fingerknochen beider Hände. Obwohl ihr Gesicht Le-Fort-Frakturen hatte, die entstehen, wenn die Kraft des Aufschlags entlang bestimmter Stützzonen des Schädels weitergeleitet wird, war die Rückseite ihres Kopfes unversehrt, was darauf hindeutete, dass sie mit dem Hinterkopf auf weichem Boden gelegen hatte, als ihr die Verletzungen zugefügt worden waren.
Dennoch hatte sie anscheinend nicht versucht, sich zu verteidigen. Wenn ein Arm gehoben wird, um einen Schlag abzuwehren, trifft die Hauptwucht der Gewalt die Elle, was einen typischen keilförmigen Bruch verursacht, den man Abwehrfraktur nennt. In diesem Fall hatten die Ellen und Speichen beider Unterarme sowohl einfache Frakturen als auch wesentlich komplexere Splitterbrüche. Diese Tatsache ließ auf zwei mögliche Szenarien schließen: Entweder war Tina Williams während der Schläge bereits tot oder bewusstlos gewesen, oder aber sie hatte sie gefesselt und wehrlos erdulden müssen.
Um ihretwillen hoffte ich, dass das erste Szenario zutraf.
Was die Verletzungen im Einzelnen verursacht hatte, war schwer zu sagen, aber ich hatte eine Vermutung. Mit seiner fast übernatürlichen Kraft hätte Monk die meisten vielleicht mit bloßen Händen angerichtet haben können, doch der vordere Knochen von Tina Williams’ Schädel wies eine charakteristische, nach innen gewölbte Fraktur auf. Sie war zu groß, um von einem Hammer verursacht worden zu sein, der wahrscheinlich sowieso direkt durchgeschlagen wäre. Für mich sah es eher so aus, als wäre ein Schuh oder ein Stiefelabsatz benutzt worden.
Sie war praktisch totgetrampelt worden.
Ich hatte schon eine ganze Reihe von gewaltsamen Todesfällen untersucht, aber die Bilder, die durch diese Erkenntnis heraufbeschworen wurden, waren außerordentlich verstörend. Und nun sollte ich dem Mann gegenübertreten, der dafür verantwortlich war.
Der Hubschrauber war nicht mehr zu hören, als Terry und ich zurück zu der kleinen Ansammlung von Polizeiwagen, Transportern und Trailern gingen, wo es nun wieder lebendig wurde. Da der ständige Verkehr das Gelände in einen tiefen Morast verwandelt hatte, waren Bretter als Gehwege verlegt worden, doch durch die Ritzen quoll schwarzer Matsch, auf dem man leicht ausrutschen konnte.
Eigentlich hatte ich gehofft, nur ein paar Tage weg zu sein, aber das überraschende Angebot des Verurteilten, uns zu zeigen, wo Zoe und Lindsey Bennett vergraben waren, hatte meine Pläne völlig durcheinandergebracht. Für die eventuellen Ausgrabungen war zwar weiterhin Wainwright verantwortlich, doch Terry hatte mir gesagt, dass Simms mich dabeihaben wollte, wenn – oder besser gesagt, falls – weitere Leichen gefunden werden sollten.
«Bist du nervös? Monk zu treffen, meine ich?», hatte Kara mich am Abend zuvor gefragt.
«Nein, natürlich nicht.» Ich musste zugeben, dass ich
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