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Verwesung

Verwesung

Titel: Verwesung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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abgesehenvon einem einzelnen Schaf in der Ferne, völlig verlassen.
    Ich schaltete den Motor aus. «Und jetzt?»
    Sophie lächelte mich matt an. «Ich dachte, wir machen einen kleinen Spaziergang.»
    Ich seufzte. «Sophie   …»
    «Ich möchte nur sehen, wo das Grab war. Keine weiteren Überraschungen mehr, versprochen.»
    Resigniert stieg ich aus dem Wagen. Eine kalte Brise zerzauste mir das Haar. Die Luft war frisch und roch leicht schwefelig nach Sumpf. Als ich die Landschaft betrachtete, die ich vor einer Ewigkeit zum letzten Mal gesehen hatte, hatte ich das Gefühl, die Vergangenheit würde die Gegenwart überlagern. Das Moor erstreckte sich kilometerweit, ein winterliches Flickwerk aus Ginster, Heide und welkem Farnkraut. Obwohl es keinen mit Polizeiband abgesperrten Weg und kein blaues Zelt der Spurensicherung in der Ferne gab, wirkte alles beklemmend vertraut. Da waren die bekannten Felsen, die welligen Hügel und Senken. Die Jahre schienen sich vor mir aufzutürmen, und mir wurde traurig bewusst, wie viel Zeit vergangen war, seit ich das letzte Mal hier gestanden hatte.
    Und wie viel sich verändert hatte.
    Sophie hatte die Hände in ihre Jackentaschen gestopft und suchte mit ihren Blicken das Moor ab. Sie machte nicht den Eindruck, als würde die Weite sie entmutigen.
    «Das ist ein langer Weg. Fühlst du dich wirklich dazu in der Lage?», fragte ich. Meine Wut von vorhin war verflogen; darauf hatte sie vielleicht gehofft.
    «Mir geht’s gut.» Sie schaute in den grauen Himmel. «Aber wir sollten uns beeilen, es wird bald dunkel.»
    Sie hatte recht. Obwohl es erst Nachmittag war, hatte die Dämmerung eingesetzt. Ein dünner Bodennebel bildete sich, der vom Moor aufstieg wie Dampf vom Rücken eines Pferdes. Ehe ich den Wagen abschloss, nahm ich die Taschenlampe aus dem Handschuhfach. Wahrscheinlich würden wir lange vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein, aber ich hatte mich schon einmal nachts in einem Moor verlaufen. Eine Erfahrung, die ich nicht wiederholen wollte. Wir folgten dem Weg, der zum Black Tor führte. Ungefähr in der Mitte blieb sie stehen und drehte sich nach links zum Moor um. «Okay, von hier war das Polizeiband bis hinaus zum Grab gespannt worden.»
    «Woher willst du das wissen?» Für mich sah es hier genauso aus wie an jeder anderen Stelle des Weges.
    Sophie schaute mich von der Seite an und grinste schief. «Was ist los, vertraust du mir nicht?»
    «Ich verstehe einfach nicht, wie du dich erinnern kannst. Für mich sieht hier alles gleich aus.»
    Sie kam näher und legte mir ein Hand auf den Arm, während sie mit der anderen in die Landschaft deutete. «Der Trick besteht darin, dass man sich Punkte in der Landschaft einprägt, die sich nicht verändern. Siehst du den anderen Felsturm, ungefähr drei Kilometer entfernt? Der müsste ungefähr im rechten Winkel zu der Stelle liegen, wo wir jetzt sind. Und wenn du nach dort drüben schaust   …»
    Als sie sich umdrehte, stand sie plötzlich so nah vor mir, dass ich mich auch schnell umdrehte. «Dort ist eine Art Spalte im Boden. Wenn wir an der richtigen Stelle sind, müsste das Ende davon in einer Flucht mit diesem Hügel liegen, auf dem der flache Felsen steht. Siehst du?»
    Ich nickte, obwohl es mir nicht gelungen war, mich völligauf ihre Worte zu konzentrieren. Sie stand noch immer ganz dicht neben mir. Als wir uns anschauten, strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht und trat einen Schritt zurück.
    «Na ja, jedenfalls ist dies eine natürliche Eingangsstelle ins Moor», sagte sie. «Die Böschung am Wegrand ist fast überall ziemlich steil, aber hier ist sie wesentlich flacher. Sollen wir   …?»
    «Okay.»
    Ich war froh, weitergehen zu können.
Konzentriere dich auf das, was du tun sollst.
Die Böschung, die vom Weg hinabführte, war hier zwar nicht so steil, aber wesentlich stärker überwuchert als in meiner Erinnerung. Nachdem ich unten war, drehte ich mich um, damit ich Sophie helfen konnte. Sie geriet auf dem Hang ins Laufen und lächelte mich verlegen an, als ich sie auffing.
    «Glaubst du wirklich, du kannst die Stelle, wo das Grab war, ohne Karte finden?», fragte ich, als wir begannen, uns einen Weg durch das dichte Heidekraut zu bahnen.
    «Auf jeden Fall», sagte sie.
    Es ging nur schwer voran. Selbst wenn das Heidekraut dem stacheligen Sumpfgras wich, konnte man kaum sehen, wohin man trat. Entweder ich sackte immer wieder im Morast ein oder verdrehte mir an jedem versteckten Stein oder Loch die Knöchel.

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