Verwesung
vergewaltigt?»
«Nein.»
«Wurde etwas gestohlen?»
«Nein.»
Roper grinste wieder. «Verdammtes Glück.»
Ich wechselte das Thema. «Wann ist Simms stellvertretender Polizeichef geworden?»
«Das muss vor … äh, vor mittlerweile vier oder fünf Jahren gewesen sein. Ungefähr zur gleichen Zeit, als ich zum Inspector befördert wurde.»
Er hatte mich dabei von der Seite gemustert.
Roper ist Detective Inspector?
Ich hätte ihm nicht einmal zugetraut, Detective Sergeant zu werden.
«Glückwunsch», sagte ich. «Wer ist hier der Ermittlungsleiter?»
«Steve Naysmith. Ein ziemlicher Überflieger, ist erst im letzten Jahr Detective Chief Superintendent geworden.» Man konnte Roper anhören, wie wenig ihm das gefiel. Was mich wiederum gleich für Naysmith einnahm. «Aber Simms hat ein sehr persönliches Interesse an dem Fall. Der Ermittlungsleiter ist ihm direkt unterstellt.»
Naysmith wird begeistert sein.
Aber Simms hatte Wainwright gut gekannt und konnte natürlich nicht untätig bleiben.
Besonders da Monk der Hauptverdächtige war.
Simms war am Eingang des Hauses vor einem Klapptisch mit Schutzkleidung stehen geblieben.
«Ich konnte nicht ahnen, dass ich noch einmal reinmuss», sagte er gereizt und riss eine frische Packung mit Overalls auf. «Viel Zeit habe ich nicht. Ich muss bald eine Pressekonferenz geben.»
Manche Dinge verändern sich nicht.
Ich hatte keine Ahnung, weshalb Simms noch einmal mit mir ins Haus ging, aber ich bezweifelte, dass er es mir zuliebe tat. Als er sich in den Overall zwängte, fiel mir auf, dass er noch unbehaglicher darin aussah als vor acht Jahren, und plötzlich wurde mir klar, woran es lag. Sein Gesicht war so unscheinbar, dass es nur durch seine Kleidung Charakter bekam. In dem weißen Einheitsoverall wirkte er seltsam unfertig.
«Brauchen Sie mich noch, Sir?», fragte Roper.
Simms beachtete ihn nicht, während er sich Überschuhe und Handschuhe anzog. «Im Moment nicht, aber bleiben Sie hier, bis Dr. Hunter und ich fertig sind.» Ohne sich darum zu kümmern, ob ich umgezogen war, ging Simms hinein.
Die vornehme Stille des Hauses, an die ich mich erinnerte, war zerstört worden. Obwohl die weißgekleideten Beamten der Spurensicherung bereits ihr Equipment zusammenpackten, konnte man überall sehen, was gerade geschehen war. Jede Oberfläche war mit einer feinen Puderschicht zur Sicherstellung von Fingerabdrücken bedeckt, sodass es den Anschein hatte, das Haus stünde seit einer Ewigkeit leer und alles wäre von einer feinen Staubschicht überzogen. Auf dem Parkettboden lagen die Scherben eines eingeschlagenen Fensters und die Erde von umgekippten Topfpflanzen. Es roch zwar noch nach Chrysanthemen, aber darunter auch nach Fäkalien und getrocknetem Blut, den Ausdünstungen eines gewaltsamen Todes.
«Der Täter hat die Küchentür aufgebrochen», sagte Simms und wich matschigen Fußspuren aus, die gerade von einem Kriminaltechniker fotografiert wurden. «Er hat nicht versucht, seine Spuren zu verwischen, wie Sie sehen können.Wir haben außerdem mehrere Speichelflecken gefunden, die einen DN A-Test ermöglichen müssten.»
«Speichel?»
«Anscheinend hat der Mörder auf den Boden gespuckt», sagte er nüchtern. Simms ging vor mir durch die Diele und verdeckte mir den Blick. Als er zur Seite trat, sah ich Leonard Wainwright.
Der forensische Archäologe gab im Tod ein trauriges Bild ab. Im Schlafanzug und einem alten, gestreiften Bademantel lag er zusammengekrümmt zwischen den Scherben eines Glasschrankes vor der Treppe. Das Blut aus den Schnittwunden war auf seiner Haut getrocknet und über den Boden gespritzt. Doch es war nicht so viel, dass er verblutet sein konnte. Sein Gesicht wurde von einer grauen Haarsträhne verdeckt, durch die man die Schlitze seiner blutunterlaufenen, teilnahmslosen Augen sehen konnte. Sein Kopf war unnatürlich auf eine Seite gedreht und ruhte beinahe auf der Schulter.
Genickbruch
, dachte ich automatisch. Ich merkte, wie ich auf Wainwrights nackte Füße starrte. Sie waren schwielig und gelb, und die Knöchel, die aus den Pyjamahosen ragten, waren die eines alten Mannes, dürr und haarlos.
Es hätte ihm bestimmt nicht gefallen, dass ihn jemand so sah.
Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass die Leiche bereits abtransportiert worden war. Ich hatte schon mit unzähligen Tatorten und Gewaltverbrechen zu tun gehabt, aber dieser Fall war anders. Vor achtundvierzig Stunden hatte ich noch mit Wainwright gesprochen, und der Anblick
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