Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
vermehren. Diese Gedanken hatten während der Renaissance noch größeres Gewicht bekommen, und das Erbe der von persönlichem Ruhm besessenen Epoche war eine Gestalt, die die Vorstellungswelt des frühen 17 . Jahrhunderts prägen sollte: der Held. Aber gerade zu dieser Zeit bahnte sich im europäischen Bewusstsein ein Wandel an. Das Betätigungsfeld des Helden war der Krieg gewesen – allerdings der mittelalterliche Krieg, der immer klein und überschaubar war und am ehesten einem großen Raubzug ähnelte. Nun war der neue Krieg auf der Bildfläche erschienen: ein ohrenbetäubend brüllendes, sich wälzendes Monstrum, das alle quälte, aber sich von niemandem lenken ließ. Entsetzt und des Krieges herzlich überdrüssig hatten manche Menschen angefangen, dem Helden ins Gesicht zu blicken, und dabei eine hässlich geborstene Maske entdeckt, unter der ein beinah unlöschbarer Durst nach persönlicher Größe aus leeren Augenhöhlen leuchtete – und waren die verbrannten Dörfer, vergewaltigten Frauen und ermordeten Männer wirklich nur Rekompensation? Zur gleichen Zeit, als einige begannen, diese Gestalt in Frage zu stellen, suchten andere zu begreifen, was es war, das Europa befallen hatte, was all diese Unruhe, Instabilität und Zerstörung schuf. Das leuchtende Bild des Menschen und seiner Möglichkeiten, das die Renaissance hervorgebracht hatte, nahm unter dem Eindruck der endlosen Kriege, der unzähligen Revolten und des allgemeinen Elends wieder düstere und pessimistische Züge an. Man meinte, ein ernstes Gebrechen am Menschen wahrzunehmen, nämlich seine Leidenschaften, seine Fähigkeit, so starke Gefühle und Begierden zu entwickeln, dass sie seine Vernunft außer Kraft setzten. Die Schlussfolgerung war, dass diese Leidenschaften etwas Böses und Zerstörerisches waren, das um jeden Preis eingedämmt und gezähmt werden musste. Die These von der Gefährlichkeit der Leidenschaften wurde in der moralphilosophischen Debatte schnell zum Dogma erhoben, besonders von den vielen einflussreichen Neustoikern der Zeit, und färbte sowohl die Kultur als auch den Zeitgeist. Im Zug der Demontage des Helden und der viel beschworenen Bedrohung durch die Leidenschaften wurde auch eine allmähliche Umwertung des kaufmännischen Gewerbes eingeleitet. Habgier war zwar noch immer eine Todsünde, aber im Vergleich mit dem im moralischen Sinn zunehmend abgenutzten Helden und seinem blutbesudelten Degen nahm sich das Geschäft des Kaufmanns als, ja … recht unschuldig aus. Was wir Kapitalismus nennen, war noch ein hässliches kleines Kind in der Wiege, von den meisten verleumdet und verschmäht, aber die Ruinenstädte und Leichenberge, die der neue Krieg nach wie vor hinterließ, lieferten der Sache der schlecht angesehenen Kaufleute und Manufakturisten neue Argumente.
Diese neue Einschätzung der Tätigkeit des Bürgers war indessen noch kein großes Thema in der Gegenwart, sondern zeigte sich lediglich in vereinzelten Wörtern und leise ausgesprochenen Wendungen am Rande des Geschehens. Wie stark die Verachtung des Geldes im alten Europa tatsächlich war, erkennt man daran, dass die Bürger sie praktisch selbst teilten. Sie bewunderten den Adel mit der gleichen Inbrunst, mit der der Adel sie verachtete, und ihre Lebensideale waren auch adlige; sie kleideten sich gerne in die prachtvollen Kostüme mit Schlitzen, Litzen, Bäuschen, Galonen, Rosetten und Bändern, auf die der Adel ein Alleinrecht zu haben glaubte; sie trugen zum Verdruss des Adels das Statussymbol
par excellence
in dieser Epoche der Gewalt: den Degen; sie schickten ihre Söhne auf die Universitäten, um traditionell adlige Fächer wie Rhetorik und Geschichte zu studieren; sie ließen ihre mit üppiger Mitgift ausgestatteten Töchter sich mit stolzen, aber armen Adligen verheiraten; und die meisten strebten danach, selbst geadelt zu werden.
Sowohl die Königsmacht als auch die Aristokratie war in hohem Grad abhängig von den finanziellen Mitteln der Großbürger – dies war in allen Ländern Europas gleich. Der Herrschende an der Spitze des armen schwedischen Staates hatte seit einiger Zeit damit begonnen, gewisse in-und ausländische Großbürger, die der Krone finanzielle Hilfe geleistet hatten, in den Adelsstand zu erheben. Der Adelsbrief war eine Möglichkeit, sie enger an sich zu binden oder ganz einfach die Schulden der Krone zu «bezahlen». Beide Teile waren damit zufrieden. Die Krone kam darum herum, Geld herauszurücken, das sie ohnehin nicht besaß.
Weitere Kostenlose Bücher